72 Jahre liegt das Massaker von Babi Jar zurück, 70 Jahre die Auslöschung des Minsker Ghettos. Für die Überlebenden und ihre Familien ist diese Zeit nach wie vor gegenwärtige Erinnerung. Für die Münchner Kultusgemeinde war sie am 30. September Anlass zu einer Gedenkstunde im Mediensaal des Gemeindehauses.
Der Musiker Leonid Henkin leitete mit seiner Klarinette das Gedenken mit einer besinnlichen Melodie ein. Deren Töne klangen noch nach, als die Leiterin der Sozialabteilung, Olga Albrandt, die Grußworte von Charlotte Knobloch vorlas. Die Präsidentin drückte in ihrem Manuskript ihr Bedauern darüber aus, nicht persönlich anwesend sein zu können. »Aber in meinem Herzen bin ich mit Ihnen. Wir gehören zusammen und wir gedenken gemeinsam der Ermordung unserer Schwestern und Brüder.«
Unvergessen Knobloch unterstrich im Anschluss die Wichtigkeit des Gedenkens und Andenkens. Wenn es um die Opfer des Holocaust gehe, »ist es nicht wichtig, wer wir sind und wo wir unsere Toten zu beklagen haben – ob in Babi Jar, Auschwitz, Theresienstadt oder Dachau. Jeder Mensch hat jemanden dort. Ihrer aller gedenken wir. Heute, morgen, übermorgen. Damit niemand vergessen ist, damit nichts vergessen ist.«
Am 29. und 30. September 1941 wurden in der Schlucht Babi Jar vor den Toren Kiews Tausende jüdische Frauen, Männer und Kinder zusammengetrieben und erschossen. Die gesamte verbliebene jüdische Bevölkerung der Stadt, die dort seit Jahrhunderten ansässig gewesen war, fiel den Nazis zum Opfer. Das Morden sollte nach diesen beiden Tagen noch zwei weitere Jahre andauern.
Am 21. Oktober 1943 begann die Liquidation des Minsker Ghettos. Beider Massaker gedachte die Kultusgemeinde exemplarisch für viele weitere Schauplätze. Mit einer musikalischen Lesung riefen dann die Komponistin und Sängerin Maryna Kalmykova sowie Igor Holovkin die damalige Zeit wieder eindrücklich wie einfühlsam in Erinnerung.
Emotionen Unter dem Motto »Erinnerung sprich!« ließen die beiden Dichter und Zeitzeugen zu Wort kommen. Maryna Kalmykova trug dabei auch eine eigene Komposition vor. Starke Emotionen weckte bei den Anwesenden das vielen Zuhörern wohl bekannte Lied von Mordechai Gebirtig ‹S brennt, unser schtetl brennt.
Breiten Raum nahm in der Gedenkstunde das Werk Babij Jar des Schriftstellers Anatolij Kusnezow ein, der das Massaker an den Juden von Kiew als Kind mit ansehen musste und nie vergessen hatte. Die beiden Vortragenden ließen auch den Autor und Journalisten Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg mit seinem Buch Menschen, Jahre, Leben zu Wort kommen. Sie lasen ein Gedicht Ehrenburgs aus dem Jahr 1944, in dem er an die Schlucht von Babi Jar erinnert. Dann zitierten sie dessen Wunsch, »dass die Menschen eine Wiederholung nicht zulassen werden«.
Damit niemand und nichts vergessen werde, hatte Charlotte Knobloch in ihrer Grußadresse auf das Projekt von Yad Vashem zur Sammlung und Dokumentation der Namen von Schoa-Opfern hingewiesen und die Anwesenden gebeten, sich daran zu beteiligen: »Lassen Sie die Erinnerung leben. Erzählen Sie uns die Geschichte Ihrer Familienangehörigen oder Freunde und helfen Sie mit, ihr Andenken in Ehre und Würde zu bewahren.«
Welch hohe Bedeutung dem jüdischen Staat im Gedenken und in der Gegenwart des hiesigen jüdischen Lebens zukommt, wurde unüberhörbar und eindrucksvoll deutlich, als der Musiker Leonid Henkin mit leisen Gitarrenklängen zum Abschluss die Hatikwa spielte.