Medizin

Ehrung eines großen Arztes

In großer Tradition: Franz Joseph Freisleder, Ärztlicher Direktor der Heckscher-Klinik, vor einem Foto des jüdischen Arztes Max Isserlin Foto: Marina Maisel

Die Gedenkstunde, die das Heckscher-Klinikum und die Israelitische Kultusgemeinde gemeinsam ausrichteten, galt dem jüdischen Arzt Max Isserlin, dem Gründungsdirektor der Heckscher-Kinderklinik. Er gilt als Wegbereiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bayern schlechthin. »Sein Schicksal«, so steht es in der Einladung, »steht exemplarisch für die unvorstellbaren Verbrechen während des Nationalsozialismus und für die unüberbrückbare Lücke, die der Verlust von Menschen wie Professor Max Isserlin und seinen Kollegen in der Mitte der deutschen Gesellschaft hinterlassen haben.«

Bevor sich Franz Joseph Freisleder, der Ärztliche Direktor der Heckscher-Klinik, in seiner Festrede der Person Max Isserlin zuwandte, beleuchtete der Medizinhistoriker Wolfgang Locher von der Ludwig-Maximilians-Universität München die Mechanismen, die in der NS-Zeit relevant waren. »Angekommen und ausgegrenzt – zum Schicksal jüdischer Ärzte in München« hatte Locher seinen Vortrag überschrieben.

verdrängung IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch war bereits in ihrem Grußwort auf die prekäre Lage eingegangen, in der sich jüdische Ärzte nach der Machtergreifung der Nazis befanden. »Schon 1933«, blickte Charlotte Knobloch zurück, »wurden alle nichtarischen Ärzte aus dem öffentlichen Gesundheitswesen, aus Universitäten, Krankenhäusern und Verwaltungen verdrängt.

Nach zahlreichen Maßnahmen der Verdrängung bedeutete der Entzug der Approbation 1938 für die jüdischen Ärzte schließlich die Vernichtung ihrer beruflichen Existenz. Der physischen Vernichtung entgingen viele, so auch Max Isserlin, nur durch Flucht. Das bedeutete für viele einen nicht zu heilenden Bruch ihres Lebens. Diejenigen, die als sogenannte ›jüdische Krankenbehandler‹ geduldet wurden und weiterarbeiteten, wurden am Ende meist mit ihren Patienten deportiert und ermordet.«

In seinem Vortrag vergaß Franz Joseph Freisleder nicht, neben Max Isserlin noch einen zweiten Mann zu nennen, den Namensgeber der Klinik, Carl August Heckscher. Die großzügigen Spenden des deutsch-amerikanischen Industriellen mit jüdischen Wurzeln waren es, die das Projekt überhaupt erst ermöglichten.

Max Isserlin, ein Vorreiter moderner Psychiatrie und einstmals hoch angesehener Vertreter seines Berufsstandes, verlor schrittweise alles: seine Zulassung als Arzt, seinen Chefposten, sein Vermögen, seine Würde. Auf diese unselige Entwicklung, die mit der Machtergreifung der Nazis endgültig zu einer Tod bringenden Lawine angewachsen war, hatte schon Charlotte Knobloch hingewiesen.

Dass er Jude war, nahm »die antisemitische Mörderbande zum Anlass, ihm jedes Menschsein, seine Würde, ja sein Existenzrecht abzusprechen«, erklärte die IKG-Präsidentin. »Antisemiten«, fügte sie in diesem Zusammenhang hinzu, »wollen nicht den Menschen sehen. Sie nehmen das, was eine Persönlichkeit ausmacht, bewusst nicht wahr: ihr Handeln, ihre Leistung, ihre Haltung. Dem absurden, gnadenlosen Hass der Antisemiten genügt das Judesein, um eine Person der Ausgrenzung, Diffamierung und schließlich der Vernichtung preiszugeben.«

niedergang Was geschah mit der Heckscher-Klinik nach Isserlins Vertreibung im Jahr 1938? Auch diese Frage beantwortete Freisleder. Die Jahre des Nationalsozialismus hätten »einen unvorstellbar tiefen Niedergang der Psychiatrie in Deutschland mit sich gebracht«. Man müsse sich vor Augen führen, dass etwa 250.000 bis 300.000 psychisch, geistig und körperlich kranke Menschen, darunter mehr als 5000 Kinder und Jugendliche, von 1939 an der von den Nazis euphemistisch als »Euthanasie« bezeichneten »T4«-Aktion zum Opfer gefallen seien. »Und es ist zu bekennen«, fügte Freisleder hinzu, »dass damals auch mehrere renommierte Kinderpsychiater in unmenschliche Forschungs- und Tötungsprogramme involviert waren«.

Der Blick zurück in diese Zeit wirft auf die Heckscher-Klinik ein wahrhaft menschliches Licht. Wie aus Forschungsarbeiten und einer penibel geführten Chronik zu entnehmen ist, dürfte Isserlins Nachfolgerin als Chefärztin, Maria Weber, unterstützt von den im Haus tätigen »Usberger Schwestern«, zu einer Heldin im Stillen geworden sein.

Weil sie Fragebogen nicht ausfüllte und alle ihr anvertrauten Kinder als »bildungsfähig« ausgab, entgingen die Kleinen der Tötungsaktion. Die Chefärztin warnte auch andere Eltern vor den teuflischen Euthanasie-Plänen. Ihr Handeln war alles andere als die Regel. Freisleder: »Anders erging es mehr als 300 Kindern in der nicht weit entfernten Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, wo sie zwischen 1940 und 1945 durch Verhungernlassen oder durch die Gabe von Luminal getötet wurden.«

Das Gedenken an Max Isserlin, der kurz nach Kriegsausbruch nach England floh und bald darauf starb, nahm Charlotte Knobloch zum Anlass, an ein besonderes Präsent zu erinnern, wie sie es formulierte. »Ich möchte an ein Geschenk erinnern«, sagte sie voller Emotionen, »das hier in München mit einem jüdischen Arzt verbunden ist und das sich in diesem Jahr, wie die Befreiung von Auschwitz, zum 70. Male jährt: Es war der Kinderarzt Dr. Julius Spanier, der nach seiner Rückkehr aus Theresienstadt mit meinem Vater Fritz Neuland sel. A. schon am 19. Juli 1945, also nur zwei Monate nach Kriegsende, die Jüdische Kultusgemeinde München neu- beziehungsweise wiederbegründet hat. Diese Gründung war ein frühes Geschenk an die spätere Bundesrepublik Deutschland, ein Vertrauensbeweis, der die Rückkehr der jungen deutschen Demokratie in die Staatengemeinschaft unterstützen würde.«

Die Gedenkveranstaltung, an der auch der Bezirkstagspräsident Josef Mederer teilnahm, wurde musikalisch von Kindern und Jugendlichen des kbo-Heckscher-Klinikums gestaltet. Unterstützt wurden sie von Agnes Pusker (Violone) und Sarah Wiederhold (Violoncello).

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