Ordination

Drei für Deutschland

Ein eigener Rabbiner für die Gemeinde ist ein großer Gewinn», sagt Zentralrastpräsident Josef Schuster. Ab Montag werden drei Gemeinden in Deutschland eigene Rabbiner haben. Wobei es für Osnabrück und Leipzig sogar eine rabbinische Verstärkung geben wird. Nosson Kaplan wird Rabbiner Avraham Radbil in der niedersächsischen Gemeinde Osnabrück zur Seite stehen. Jochanan Guggenheim wird Rabbiner Zsolt Balla in Leipzig unterstützen, und Benjamin Kochan amtiert bereits seit fast einem Jahr in Erfurt und wird als Landesrabbiner zwischen Weimar, Gera und Erfurt unterwegs sein.

Alle drei haben ihre Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin abgeschlossen. Am Montag werden sie in der ehrwürdigen Westend-Synagoge Frankfurt in ihr Amt eingeführt. Es ist dies die erste Ordinationsfeier, die die Jüdische Gemeinde Frankfurt erlebt. Zum Festakt erwartet sie neben dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und dem Präsidenten des World Jewish Congress und der Lauder Foundation, Ronald S. Lauder, hochrangige Vertreter der Beth Medrash Govoha aus Lakewood/USA, eine der größten Talmud-Hochschulen der Welt, sowie führende Rabbiner Europas und eine Vielzahl hochrangiger Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland.

biografien Guggenheim, Kaplan und Kochan haben sehr unterschiedliche Biografien. Mit 33 Jahren ist Nosson Kaplan der Älteste. Er wurde 1982 in der Ukraine geboren und kam im Alter von 13 Jahren nach Hamburg, wo er 2003 sein Fachabitur im Bereich Elektrotechnik ablegte. Danach absolvierte er eine Ausbildung als Technischer Informatiker. Noch heute übernehme er alle «elektronischen» Arbeiten im Haushalt, erzählt Kaplan.

Überhaupt sei er ein praktischer Mensch, sagt Kaplan über sich selbst, «auch was spirituelle Dinge angeht». Dass er einmal Rabbiner werden würde, war familiär nicht vorgezeichnet. Er sei völlig säkular aufgewachsen und spürte irgendwann, dass er das jüdische Erbe, die Tradition mit anderen teilen wolle. So studierte er von 2011 bis 2015 am Rabbinerseminar zu Berlin. «Ich möchte etwas zur jüdischen Welt in Deutschland beitragen, da ich glaube, dass ich nicht umsonst hier bin», beschreibt er seine Motivation zum Rabbineramt.

Seit Oktober 2015 ist er als Assistenzrabbiner der Jüdischen Gemeinde Osnabrück tätig. Er empfinde die Gemeinde «als sehr lebendig im Vergleich zu vielen anderen Gemeinden dieser Größenordnung in Deutschland. Daher gibt es auch immer etwas zu tun», sagt Kaplan. Gemeinde und Familie gingen vor, sodass er wenig Zeit für seine übrigen Interessen oder gar Hobbys habe. Zu Hause versuche er sein Bestes, er spiele gern mit seinem Sohn, und dennoch gebe es sicherlich auch einiges an ihm zu kritisieren. «Meine Frau weist mich auf all meine Fehler hin. Genau das sind die Worte der Tora», sagt Kaplan: «Die Frau soll ihrem Mann ein ›eser kenegdo‹ (1.B.M, 2,18), eine Hilfe für beziehungsweise gegen ihn sein. Und genau deswegen habe ich geheiratet.»

Sofer Jochanan Guggenheim ist in Duisburg geboren. In der neunten Klasse ging er nach Israel und besuchte dort das Internat «Kfar Haroe». Anschließend lernte er in der Yeshivat Kerem B’Yavneh. Nach dem Armeedienst kam Guggenheim nach Berlin, um am Rabbinerseminar zu studieren. Neben dem Rabbinerstudium absolvierte er eine Ausbildung zum Sofer. Eine ganze Tora habe er zwar noch nicht geschrieben, aber zwei Megillot Esther, erzählt Guggenheim. «Die erste habe ich während des Armeedienstes geschrieben und in der Freizeit beendet.» Außerdem hat er Pergamente für einige Mesusot beschrieben.

Der Wunsch, Rabbiner zu werden, habe sich in der Jeschiwa in Israel ausgeprägt, sagt der heute 30-jährige Vater einer Tochter. Doch schon in Düsseldorf, wo er aufwuchs, habe er unter anderem Rabbiner Michael Goldberger sel. A. und Rabbiner Julian-Chaim Soussan erleben dürfen. «Sie haben mich auf dem jüdischen Weg verstärkt begleitet. Nun will ich das Erlernte weitervermitteln», sagt Guggenheim zu seinem Berufswunsch.

«Ziele, die ich mir vornehme, versuche ich zu erreichen», charakterisiert sich Guggenheim selbst. «Je nach Situation bin ich entweder schweigsam oder ein Redner.» Gerade in den letzten Wochen sei Freizeit für ihn Mangelware gewesen, da er in der Jeschiwa und im Rabbinerseminar von morgens bis abends gelernt hat. Wenn dann doch ein paar Minuten übrig sind, spielt Guggenheim gelegentlich Klavier, erprobt Chazzanut-Stücke und schwimmt gern. Im Rabbinerseminar zu Berlin beschäftigen ihn zurzeit Schabbat-, Koscher-, und Trauergesetze.

Herausforderung Der Jüngste unter den drei Rabbineranwärtern ist Benjamin Kochan. Der 28-Jährige wurde in Magadan, einer russischen Hafenstadt, geboren und kam 2004 mit 16 Jahren nach Deutschland. Es sei ungünstig gewesen, gerade in diesem Alter seine Heimat verlassen zu müssen, sagt Kochan. «Denn es ist die Zeit, wo ein Jugendlicher sich geistlich bildet und die Umgebung, die Gesellschaft eine große Rolle spielt.»

Er habe es als große Herausforderung empfunden, aus seiner Umgebung, die ihn positiv wahrnahm, herausgerissen zu werden. Dennoch habe er diese Zeit gut überstanden, «nicht zuletzt, weil ich immer versucht habe, Kontakt mit jungen jüdischen Gruppen zu halten. Durch die verschiedenen Seminare und Schabbatot war das möglich.»

Der junge Vater spricht vier Sprachen, «weil ich sie aus unterschiedlichen Gründen lernen musste». Als sprachbegabt würde er sich jedoch nicht bezeichnen. «Es hat nicht immer Spaß gemacht», sie erlernen zu müssen, gibt er zu. Kochan kommt aus keiner religiösen Familie. Nur seine Schwester Schäina und er seien religiös geworden. Er selbst würde sich als «meistens strukturiert» bezeichnen, was «aber anscheinend nicht genug ist, sodass meine Frau mir ab und zu Hinweise gibt», fügt er hinzu. Um sich fit zu halten, joggt er gelegentlich und wünscht sich aber, dies häufiger tun zu können.

anstellung Für Thüringen habe er sich «ganz pragmatisch entschieden», sagte er der Jüdischen Allgemeinen kurz nach seiner Anstellung. Die Thüringer Gemeinde habe einen Rabbiner gesucht, und er habe gerade sein Studium in Berlin beendet. «Ich möchte den Menschen die Möglichkeit geben, im religiösen Sinne ihr Judentum zu leben», erklärte er. Ursprünglich wollte Benjamin Kochan Ingenieur werden, doch ab 1998 wuchs sein Interesse an jüdischer Tradition und Religion.

Kochan kennt die thüringische Landeshauptstadt schon mehrere Jahre. Bereits vor seiner Bewerbung als Rabbiner für Erfurt war er einmal im Monat in die thüringische Landeshauptstadt gekommen, um Schabbat zu feiern und das kleine Bundesland kennenzulernen. Zudem studierte er jüdische Sozialarbeit an der Erfurter Fachhochschule. Sein Wahlspruch zur Ordination lautet: «Verantwortung macht kreativ».

Das Rabbinerseminar zu Berlin wurde 1873 gegründet und 1938 von den Nazis zwangsweise geschlossen. 2009 wurde es vom Zentralrat der Juden in Deutschland und der Ronald S. Lauder Foundation wiedereröffnet. Seitdem fanden orthodoxe Rabbiner-Ordinationen in Köln, Leipzig, München und Würzburg statt. Mit der Ordinationsfeier in Frankfurt setzt das Rabbinerseminar seine erfolgreiche Arbeit fort, deutschsprachige Rabbiner für die jüdischen Gemeinden in Deutschland auszubilden.

«Ich freue mich sehr, dass wir wieder neue Rabbiner ausbilden», das stärke den Zusammenhalt und die Identifikation, sagt Zentralratspräsident Josef Schuster und wünscht den drei jungen Rabbinern alles Gute auf ihrem Weg.

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