Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hat ihre Festveranstaltung zum Ende der diesjährigen »Woche der Brüderlichkeit« im Alten Rathaus München begangen. Für den Festvortrag am vergangenen Sonntag konnten die Vorsitzenden der evangelischen, katholischen und jüdischen Religionsgemeinschaft, Reiner Schübel, Gabriele Rüttiger und Abi Pitum, ein Schwergewicht an Intellekt und Humor, nämlich den Soziologen Armin Nassehi, gewinnen.
Der Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität mischte die volkstümlichen Vorstellungen von Brüderlichkeit ausgehend von den Ideen der Stoiker und des Judentums erst einmal gründlich auf. Nassehi führte die Absurdität des Antisemitismus im 19. Jahrhundert vor Augen, als »das Verbrechen der Juden war, anders zu sein, ohne anders zu sein«. Differenzen auszuhalten, die Gleichzeitigkeit des Unterschiedlichen zu akzeptieren, den Dialog als eine Chance der Interaktion und Kommunikation unter Fremden zu begreifen und zu nutzen, fordert der Soziologe.
Programm In einer veranstaltungsgesättigten Woche zwischen Besichtigung des NS-Dokumentationszentrum und Kabbalat Schabbat im Restaurant Einstein, zwischen rabbinischen Gedanken von Rabbiner Jonathan Magonet und Rabbiner Steven E. Langnas, Dirk Heißerers fulminanter Lesung rund um Thomas Manns jüdischen Zeitgenossen Wilhelm Herzog, traf der Abend mit der Lyrikerin und (Reise-)Schriftstellerin Dagmar Nick den Geist dieser speziellen Tage in ganz besonderer Weise.
In ihrer Studie Eingefangene Schatten. Mein jüdisches Familienbuch (C.H. Beck, 2015) trug sie die Geschichte ihrer Vorfahren zusammen, beginnend in Hamburg mit Moses Spanier, dessen Name noch auf die Flucht aus Sefarad verweist, von wo die Juden 1492 vertrieben worden waren.
Dagmar Nick erstellte einen weit verzweigten Stammbaum, der unter anderem zu Glückel von Hameln, der geadelten Familie von Gans, den Familien Oppenheim und Oppenheimer, den Komponisten Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie Giacomo Meyerbeer, dem Chemiker Fritz Haber und ihrem Cousin zweiten Grades, dem Historiker Fritz Stern, führt. Dagmar Nicks Mutter, die Schauspielerin und Sängerin Käte Jaenicke, und die Autorin selbst überlebten die Schoa dank des katholischen Ehemanns beziehungsweise Vaters Edmund Nick.
Chronistin In Breslau geboren, in Berlin halbwegs untergetaucht, lebt die Chronistin seit Kriegsende in München, unterbrochen nur durch einen vierjährigen Israel-Aufenthalt. Besonders stolz ist Nick auf ihren Urgroßvater Sigismund Asch (1825–1901) und ihre Urgroßtante Lina Morgenstern (1830–1909), denen sie ausführliche Lebensläufe widmet und ihre Verdienste für das Kaiserreich, genauer gesagt für die Armen und Entrechteten, benennt.
Verfolgt wurden die Nachfahren in der NS-Zeit wie zur Zeit der Inquisition. Im Epilog des Buches heißt es: »Die Taufe war, wie sich zeigte, kein Schutz.«