Zum 100. Geburtstag von Heinz Galinski wird es zahlreiche Würdigungen geben, denn kaum einer hat das Leben der Juden im Nachkriegsdeutschland so stark geprägt wie der langjährige Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, auch weil er sich schon früh für den Wiederaufbau der Gemeinde einsetzte.
Was bei Würdigungen in der Regel zu kurz kommt, ist die Schilderung des Menschen. Deshalb möchte ich eine Geschichte erzählen, die mir über die Jahrzehnte unvergessen geblieben ist.
Wir schreiben Juni 1989. Die damalige Jüdische Gemeinde Ost-Berlins wurde sowohl durch den New Yorker Rabbiner Phillip Hiat als auch durch einen Anruf des österreichischen Judaisten Kurt Schubert davon in Kenntnis gesetzt, dass ein Schweizer Auktionshaus am 19. Juni 1989 beabsichtigt, »eine sehr bedeutende, sehr frühe mittelalterliche französische Haggada, auch bekannt als Wolf-Haggada aus dem 13./14. Jahrhundert« zu versteigern.
Haggada auf Reisen Professor Schubert war deshalb besonders aufgeregt, weil er das Stück einige Jahre zuvor ausgestellt und es ordnungsgemäß an den damaligen Besitzer, das Jüdische Historische Institut in Warschau, zurückgegeben hatte. Von dort hatte diese Handschrift – auf welchen Wegen auch immer – die Reise zur Genfer Auktion angetreten.
Ursprünglich war die Haggada Teil der Sammlung Albert Wolf, die dieser testamentarisch der Berliner Jüdischen Gemeinde vermacht hatte. Sie war Teil der Kunstsammlung, die von den Nazis gestohlen wurde. Erinnert sei an unsere im vergangenen Jahr gezeigte Ausstellung »Auf der Suche nach einer verlorenen Sammlung«, in der wir ein Waschbecken aus der Synagoge Heidereutergasse (1823), das sich heute in dem genannten Warschauer Institut befindet, zeigen konnten.
Gemeinsam Nachdem beide Berliner Gemeinden zunächst getrennt voneinander in der Sache »Haggada Wolf« agiert hatten, einigten sich die beiden Vorstände bald auf ein gemeinsames Vorgehen. Darin wurden sie vom Jüdischen Weltkongress unterstützt; sein Rechtsberater reiste wiederholt nach Berlin.
So kam es wohl relativ bald nach dem Fall der Mauer zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen ihm und Heinz Galinski, zu der ich in Vertretung von Peter Kirchner, dem Vorsitzenden der Ostberliner Gemeinde, in die Fasanenstraße geladen war.
Es ging darum, dass die noch nicht vereinigten Jüdischen Gemeinden nun gemeinsam den Weltkongress mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragten; ein Prozess vor einem Genfer Gericht stand unmittelbar bevor. Zunächst trug Barrister Daniel Lack die ganze Angelegenheit noch einmal vor; sein Deutsch war schwer zu verstehen, und Galinski wurde immer ungeduldiger, wollte mehrfach die Sitzung beenden und wurde laut.
Siegel Schließlich unterschrieb er eine von Rechtsanwalt Lack vorbereitete Vollmacht. Lack bat darum, die Unterschrift noch mit einem Siegel versehen zu dürfen. Galinski, nun vollkommen in Rage, schrie: »Warum Siegel? Meine Unterschrift genügt!« und schob mir den Vorgang über den Tisch, damit auch ich unterschreiben sollte.
Ich sagte: »Ich unterschreibe nicht.« Galinski laut: »Warum denn das nun?« Ich entgegnete darauf: »Herr Galinski, mein Respekt ist grenzenlos, aber die Vollmacht ist auf Französisch, und das verstehe ich nicht.« Darauf Heinz Galinski erregt: »Was, Französisch? Das hat mir ja gar keiner gesagt!«