»Du wärst besser tot.« Mit diesen Worten wurde der Kölner Rabbiner Yechiel Brukner in der Straßenbahn angefeindet. Als er bei einer anderen Fahrt einer Person einen Sitzplatz anbot, bekam er als Dank zu hören: »Das wird am Hass gegen euch auch nichts ändern.«
Der Rabbiner bewegt sich seitdem nicht mehr so durch die Stadt, wie er das gerne möchte, nah bei den Menschen. Er ist jetzt auf einen Dienstwagen angewiesen. Kein Wunder, dass nach solchen Vorkommnissen die Frage »Wie geht es?« vom Vorstand der Kölner Synagogen-Gemeinde (SGK), Abraham Lehrer, aktuell mit »Unruhe und Unsicherheit haben sich breitgemacht« beantwortet wird.
Alltagsantisemitismus In der Tat: Die Stimmung in der SGK war schon einmal besser. Die Bedrückung war beim Jahresempfang deutlich zu spüren. Dieses Gefühl mag sich bei manchen Besuchern in der vollbesetzten Synagoge noch gesteigert haben, als Lehrer fragte: »Wieso schlagen die Ereignisse um den Rabbiner so hohe Wellen und bei den normalen Gemeindemitgliedern nicht?« Damit zielte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland auf jenen »Alltagsantisemitismus, der in den Kriminalstatistiken nicht auftaucht«.
Doch auch bei den offenkundigen Delikten gegen Juden oder jüdische Einrichtungen ist der Befund nicht minder alarmierend: 350 Fälle verzeichneten die nordrhein-westfälischen Behörden im Jahr 2018. 2017 waren es 324 Fälle. Als eine Ursache für den Anstieg macht Lehrer auch den Antisemitismus von arabisch-muslimischen Tätern aus.
REchtspopulismus Ebenso befördere der besorgniserregende Zulauf für rechtspopulistische Parteien die Übergriffe auf die jüdische Gemeinschaft. »Darüber müssen wir alle betroffen sein, denn diese Angriffe sind Angriffe auf uns alle.«Den »Aufstand der Anständigen« sowie das »entschlossene Handeln« gegen Antisemitismus brauchte Lehrer bei den 200 geladenen Gästen des Empfangs sicherlich nicht besonders zu betonen.
Die Anwesenheit so vieler Gäste unterstrich deren Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde im Herzen Kölns. An der Spitze der Vertreter der Kölner Stadtgesellschaft – Landgerichtspräsident, hochrangige Kirchenvertreter, Polizeipräsident sowie Landtags- und Kommunalpolitiker – stand Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos).
»Schweigen kann verletzen, und eine schweigende Mehrheit ist bedrohlich.« Oberbürgermeisterin Henriette Reker
»Schweigen kann verletzen, und eine schweigende Mehrheit ist bedrohlich«, verurteilte das Stadtoberhaupt die antisemitischen Angriffe. Zugleich nutzte sie »die gefühlsbetonte Situation zwischen Trauer und der Hoffnung auf Freundschaft und Frieden«, um auf die Mut machenden Entwicklungen in Köln hinzuweisen: etwa die Absichtserklärung für ein jüdisches Gymnasium, das im Jahr 2023 den Schulbetrieb aufnehmen soll, oder die Vorbereitungen auf die Veranstaltungen im Jahr 2021, wenn sich die erste urkundliche Erwähnung der jüdischen Gemeinde zum 1700. Mal jährt.
Karnevalsverein Das Engagement der »Kölsche Kippa Köpp«, ein vor rund eineinhalb Jahren gegründeter jüdischer Karnevalsverein, hob sie ebenso hervor wie den Jahrzehnte bestehenden Jugendaustausch zwischen Köln und seiner israelischen Partnerstadt Tel Aviv-Jaffa.
Gleichwohl: Die Realität sieht anders aus. Das wurde auch beim Verlassen der Synagoge deutlich. Der erste Blick fällt auf einen Einsatzwagen der Polizei. »Die Synagoge kann gar nicht das offene Haus sein, wie sie es gerne wäre«, stellte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger treffend fest. Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte sprach sich angesichts von täglich etwa vier antisemitisch motivierten Vorfällen in Deutschland dafür aus, Meldestellen zur Erfassung antisemitischer Straftaten einzurichten.
Bedarfsstudie In Nordrhein-Westfalen sei eine entsprechende Anlaufstelle in Planung, um auch eine zielgenauere Prävention bei islamisch geprägtem Antisemitismus zu koordinieren. Derzeit werde hierzu eine Bedarfsstudie erstellt. Zudem betonte die ehemalige Bundesjustizministerin den Wert von »Erinnerungsarbeit, die niemals genug sein kann«.
Prävention sei eine Querschnittsaufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte. Sie betonte: »Die Diskriminierung von Angehörigen von Minderheiten entspricht einem völkisch-rassistischen Deutschlandbild, das sich nie wieder, auch nur in Ansätzen, durchsetzen darf.«