Von unseren Fenstern aus blicken wir auf die Skyline von Frankfurt: Ich finde die Hochhäuser wunderschön, welch eine Architektur! Komisch, denn früher fand ich die Stadt eher hässlich, ich war ein paar Mal als Studentin auf Kongressen hier. Aber jetzt gefällt sie mir ausgesprochen gut.
Das mag daran liegen, dass wir angekommen sind in Frankfurt. Mittlerweile leben meine Söhne Elazar, Schlomi und ich seit mehr als einem Jahr in dieser Stadt, mein Mann pendelte schon einige Monate vorher. Lange mussten wir nach einer Wohnung für uns vier suchen. Idealerweise hätte sie auf halbem Wege zwischen der Westend- und der Baumwegsynagoge liegen sollen, doch am Ende ist es eben das Westend geworden.
SynagogeN Wir wohnen im fünften Stock – ohne Aufzug. Das bedeutet, dass ich meine Einkäufe genau durchplanen muss. Wir betrachten diesen »Aufstieg« inzwischen auch aus sportlicher Hinsicht! Auch wenn wir also im Westend wohnen, gehen mein kleiner Sohn und ich am Schabbat meist ins Ostend in die kleinere Baumwegsynagoge.
Schlomi hat dort sehr gute Freunde gefunden, die er unbedingt treffen will. Da mein Mann vorwiegend die große Synagoge im Westend betreut, teilen wir uns eben manchmal auf und treffen uns dann zum Kiddusch wieder zu Hause, jeder mit ein paar Gästen im Schlepptau.
Mir gefällt nicht nur die Stadt, ich finde vor allem die Frankfurter Gemeinde toll! Ich habe inzwischen viele Leute wiedergetroffen, mit denen ich als Kind und Jugendliche auf Machanot zusammen war. Wir haben uns tatsächlich gleich wiedererkannt, und das nach teilweise 40 Jahren.
Gemeinde Was mir an der hiesigen Gemeinde besonders imponiert, sind die klaren Strukturen und die Kontinuität und Ruhe, mit der auch auf politischer Ebene gearbeitet wird. Es gibt nicht so viele Wechsel bei der Besetzung der Ämter, und wenn einmal jemand geht, dann hat er meist vorher dafür Sorge getragen, dass ein Nachfolger bestimmt und an die anfallenden Aufgaben und Themen herangeführt wurde.
Insgesamt arbeiten Gemeindeleitung und -verwaltung nach meiner Wahrnehmung sehr zielorientiert und effizient zusammen. Vor allem aber ist mir aufgefallen, dass es den meisten Eltern ganz wichtig ist, ihre Kinder in die gemeindeeigenen Institutionen zu geben, angefangen bei der Krabbelstube bis hin zum Philanthropin.
Das finde ich sehr positiv und wichtig. Natürlich besucht auch mein kleiner Sohn die Lichtigfeld-Schule: Er ist jetzt neun und geht in die vierte Klasse.
Zeit Ich selbst lasse mir momentan Zeit bei der Suche nach einem beruflichen Tätigkeitsfeld. Ich nehme mir die Freiheit, zu schauen und abzuwarten, was sich so ergibt und was vielleicht als Wunsch oder Aufforderung von der Gemeinde an mich herangetragen wird. Natürlich unterstütze ich meinen Mann bei der Ausübung seines Rabbinats, wo ich kann.
Ich bin ausgebildete Judaistin und Pädagogin und habe meine Studien in Heidelberg mit dem M.A. abgeschlossen. Damals habe ich auch meinen Mann kennengelernt. Als wir uns als Studenten trafen, haben Chaim und ich festgestellt, dass wir uns schon einmal begegnet waren: auf einem ZWST-Machane in Israel, an dem wir als Zwölf-, 13-Jährige teilgenommen hatten.
Familie Wir sind jetzt 24 Jahre verheiratet. Unser großer Sohn Elazar ist 22 Jahre alt und studiert Informatik bei uns in Frankfurt. Chaim stammt aus Freiburg und ich aus Bremen. Die Gemeinde dort zählte damals gerade einmal 130 Mitglieder, im Religionsunterricht saß ich meist allein da.
Mit meinen Mitschülern an einem staatlichen Gymnasium hatte ich keinerlei Probleme. Sie haben es einfach so hingenommen, dass ich beispielsweise an den Hohen Feiertagen dem Unterricht fernblieb. Nur mit einigen Lehrern habe ich mich gezofft: Worüber? Natürlich über Israel.
Israel Aber das sehe ich auch als unsere Aufgabe an, dass wir außerhalb der jüdischen Welt unsere Verbundenheit mit diesem Land zum Ausdruck bringen und Falschinformationen geraderücken. Schon während der Schulzeit stand für mich fest, dass ich nach dem Abitur für ein Jahr nach Israel gehen würde, dort habe ich einen Ulpan besucht.
Nach meiner Rückkehr begann ich zu studieren, heiratete und bekam mein erstes Kind. Wir gingen dann zunächst für einige Jahre nach Stuttgart und haben dort beide als Religionslehrer gearbeitet. Von dort aus wechselten wir nach Düsseldorf, wo ich später die Religionsschule geleitet habe. Auch mein Mann hat dort unterrichtet, bis ihm eines Tages Paul Spiegel sel. A. vorschlug: »Lass dich doch zum Rabbiner ausbilden!«
Uns gefiel dieser mögliche Weg, über den wir auch vorher schon das ein oder andere Mal nachgedacht hatten. Nach seiner Ordination in Jerusalem übte er das Amt des Rabbiners dann fast neun Jahre lang in Düsseldorf aus.
Projekte Jetzt sind wir hier. Es gefällt mir, dass ich die Ruhe und Zeit habe, mir alles anzuschauen und mir ein neues Aufgabenfeld zu suchen. Was allerdings nicht bedeutet, dass ich untätig bin. Soeben habe ich ein Projekt abgeschlossen, das mir große Freude bereitet hat. Der Zentralrat plant, ein Lehrbuch für die Oberstufe herauszugeben, und hatte mich aufgefordert, daran mitzuarbeiten. Es heißt: ›Lehre mich, Ewiger, Deinen Weg‹. Ethik im Judentum und wird im Juni erscheinen. Das war eine richtig spannende Aufgabe.
Außerdem hat sich innerhalb der Gemeinde eine Gruppe von jungen Leuten und Familien mit kleineren Kindern gebildet, die religiöse Feste und Feiertage auf eine neue Weise begehen wollen. Wir möchten allen zeigen, dass Judentum nicht nur Pflicht und Treue zur Tradition bedeutet, sondern dass es richtig Spaß machen kann, jüdisch zu sein.
Deshalb überlegen wir, wie man aus einem Feiertag ein Event machen kann. Lag BaOmer zum Beispiel: In diesem Jahr sind wir mit 160 Leuten raus aufs Land gefahren, in den Hessenpark. Der Leiter dort spricht erstaunlicherweise Hebräisch und hat uns viel über die Architektur und das religiöse Leben in alten Synagogen erzählt. Danach haben wir gegrillt; es gab Spiele im Freien, verschiedene Workshops für die Kinder und ein Mincha-Gebet in einer historischen Landsynagoge. Die Mitarbeit in dieser Initiative macht mir sehr viel Spaß. Uns fehlt nur noch ein Name.
Bildung Außerdem sind einige Frauen aus der Gemeinde mit der Frage an mich herangetreten, ob ich nicht einen Schiur geben wolle. Ich merke, wie groß der Bildungswunsch gerade bei den jüngeren Frauen ist. Also haben wir beschlossen, uns alle 14 Tage zu treffen und uns dann jeweils ein Thema vorzunehmen.
Inzwischen bin ich auch nicht mehr die einzige Referentin, vielmehr wechseln sich jetzt die Teilnehmerinnen untereinander ab und bereiten jeweils selbst einen Vortrag für die Gruppe vor. Bei unserem nächsten Treffen werden wir uns mit dem jüdischen Frankfurt beschäftigen und haben dafür extra eine Stadtführung organisiert.
Wir fühlen uns absolut dem orthodoxen Judentum verhaftet. Doch das bedeutet eben nicht, dass wir uns vor der säkularen Welt abschotten. Im Gegenteil: Die Orthodoxie war der Wissenschaft gegenüber immer aufgeschlossen und hat sich sehr für deren Forschungsergebnisse interessiert.
Neo-Orthodoxie Wir sind hier in Frankfurt, in der Stadt, in der Samson Raphael Hirsch gelehrt und gewirkt hat. Sein Programm der Neo-Orthodoxie drückt genau das aus, was Chaim und mir als Lebenskonzept dient: »Tora ba Derech Eretz«, das bedeutet: Das Studium der Heiligen Schriften und das der Wissenschaften bilden aus meiner Sicht keinen Widerspruch, sondern ergänzen und erhellen einander. Die Erkenntnisse der Wissenschaft können helfen, Tora und Schöpfung zu verstehen.