Natürlich haben wir Angst» – solche und ähnliche Töne hörte man in den vergangenen Chanukkatagen hinter vorgehaltener Hand bei nicht wenigen Gemeindemitgliedern. Über die Möglichkeit, eine Absage des öffentlichen Lichterzündens im Freien in Betracht zu ziehen – so wie es die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen diesmal getan hat –, ist auch in der einen oder anderen jüdischen Gemeinde zumindest nachgedacht worden.
Denn die Gemeindemitglieder hatten die TV-Bilder der antiisraelischen Demonstrationen und antisemitischen Ausschreitungen in einigen deutschen Städten allzu gut vor Augen. Und manche überlegten sich lieber zweimal, ob sie wirklich am Lichterzünden mitten auf großen Plätzen in ihren Städten teilnehmen wollten. Doch in Nordrhein-Westfalen blieb die Absage beziehungsweise die Verlegung von Chanukka-Veranstaltungen von draußen nach drinnen eine Ausnahme: Denn in Dortmund, Düsseldorf, Köln und anderen Städten fand das öffentliche Lichterzünden wie geplant statt.
Dortmund Zum Dortmunder Phoenix-See kamen zu der öffentlichen Chanukkafeier an diesem Dienstagabend mit 350 Besuchern sogar mehr Menschen als in den Vorjahren. «Wir haben überhaupt nicht über eine Absage nachgedacht», sagte Baruch Babaev, Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund. Die Stimmung sei wie in den Vorjahren laut und fröhlich gewesen. Neben Gemeindemitgliedern, Bürgermeister Manfred Sauer und Vertretern von Kirchen seien auch muslimische Gäste gekommen – um zu zeigen, dass sie den Frieden unterstützen und sich von Gewalt distanzieren.
Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung durch Kantor Baruch Chauskin von der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, der mit Gesang und Keyboard für Stimmung sorgte. «Er spielt wie ein ganzes Orchester», versicherte Babaev. Dazu gab es koscheren Glühwein, Sufganiot, Quarkbällchen, Waffeln und Backkartoffeln. Alle Teilnehmer bekamen LED-Anstecker, um das Licht in Dortmund zu verbreiten. «Wir haben getanzt, bis der Nieselregen einsetzte», sagte der Rabbiner. «Von Angst war nichts zu spüren. Wir sind alle zuversichtlich und zufrieden.»
Wuppertal Die Wuppertaler Gemeinde dagegen hatte von vornherein kein öffentliches Kerzenzünden geplant. Der Gemeindevorsitzende Leonid Goldberg äußerte in der «Rheinischen Post» Verständnis für die Absage in Mülheim. Es sei traurig, dass Juden zu solchen Maßnahmen gezwungen seien, sagte er.
Mehrere Tage vor der geplanten Veranstaltung hatte die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen bekannt gegeben, dass das Kerzenzünden diesmal aus Sicherheitsgründen nicht wie in den vergangenen Jahren auf dem Synagogenplatz, sondern in den Räumen der Gemeinde stattfinden sollte. Einer kurzfristigen Bitte, die Veranstaltung ins Rathaus von Mülheim zu verlegen, konnte nicht entsprochen werden.
«Zum Lichterzünden in der Jüdischen Gemeinde sind dieses Jahr fast 200 Menschen gekommen – sogar mehr, als normalerweise zum öffentlichen Lichterzünden kamen», sagte der Geschäftsführer der Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen, Alexander Drehmann, der Jüdischen Allgemeinen. Zu den Gästen am Montagabend gehörten vor allem Gemeindemitglieder, aber auch der zweite Bürgermeister von Duisburg, Volker Mosblech, die Bürgermeisterin von Mülheim, Margarete Wietelmann, und eine Vertreterin der Stadt Oberhausen.
Köln In der Altstadt von Köln fand das öffentliche Kerzenzünden wie geplant am vergangenen Donnerstagabend statt. Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte der Jüdischen Allgemeinen, die Veranstaltung sei weniger gut besucht gewesen als in den Vorjahren. Das könne jedoch auch an dem schlechten Wetter gelegen haben. Was die Sicherheit angeht, sei es sehr ruhig geblieben.
«Ich kann es aber völlig nachempfinden, wenn Gemeindevorsitzende Veranstaltungen absagen, weil sie befürchten, dass die Sicherheit der Teilnehmer nicht gewährleistet werden kann. Dann muss die örtliche Polizei sich fragen lassen, warum nicht mehr Sicherheit bereitgestellt werden konnte», so Lehrer.
Er wünsche sich für die kommenden Jahre, dass öffentliches Kerzenzünden überall, wo es von den Gemeinden gewünscht wird, auch stattfinden kann: «Wenn wir anfangen, uns zu verstecken, dann läuft etwas falsch», unterstrich der Vizepräsident des Zentralrats.
In den meisten Gemeinden müsse die Polizei nicht mehr als vier bis fünf öffentliche Veranstaltungen pro Jahr sichern. In Köln seien dies der 27. Januar, Jom Haazmaut, der ILI-Tag und Chanukka. Öffentliche Veranstaltungen der jüdischen Gemeinden müssten überall in Deutschland «rundum abgesichert werden – das ist maßgebend für uns».
Bestürzung Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in ganz Deutschland wurde die Absage der Veranstaltung auf dem Synagogenplatz in Mülheim mit Bestürzung zur Kenntnis genommen. Gila Lustiger, die Stadtschreiberin Ruhr, schrieb in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), es sei «erschreckend genug», dass Juden ihrer Religion in Deutschland nicht furchtlos nachgehen könnten.
«Von Bedeutung» aber sei die Absage eines öffentlichen Chanukkafestes: «Denn an Chanukka gedenken Juden der Wiedereinweihung des Zweiten Tempels und feiern somit eigentlich nichts anderes als die Möglichkeit, ihre Religion souverän auszuüben.» Alt-Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld schrieb laut einem Zeitungsbericht in einem Brief: «Die Absage des Lichterfestes der Jüdischen Gemeinde ist so bedauerlich, wie sie meiner Meinung nach falsch gewesen ist.»
Initiative Als Reaktion auf die Absage sollte an diesem Mittwochabend um 17 Uhr (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) auf dem Mülheimer Synagogenplatz die «Kerze der Solidarität» entzündet werden – auf Initiative von Markus Püll von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Alexander Drehmann sagte, er freue sich über diese Initiative: «Allerdings ist Chanukka dann schon vorbei.»
Für das nächste Jahr hofft er wieder auf eine Chanukkafeier im Freien: «Wir möchten, dass das Lichterzünden im kommenden Jahr wieder auf dem Synagogenplatz stattfindet. Mit einem vernünftigen Vorlauf sollte das gelingen.» Wenn alle Voraussetzungen erfüllt seien und die Sicherheit gewährleistet sei, «kann das Lichterzünden wieder in der Öffentlichkeit geschehen», so der Geschäftsführer.