Synagoge Pestalozzistraße

Der Tradition würdig

Das Hochparterre im Vorderhaus der Pestalozzistraße 14 ist hell erleuchtet. Hier, hinter sechs hohen Panzerglasfenstern, erstrahlt seit den Hohen Feiertagen der Kidduschsaal der Synagoge in neuem Glanz – nach gut sieben Monaten Umbauarbeiten zwischen März und September im vergangenen Jahr.

Der Raum hat nun etwas Klassizistisches. Er wirkt größer als vorher, nahezu rhythmisch und wie befreit: Die Wände sind neu verputzt und in schlicht-elegantem Biedermeier-Grün gestrichen, einem Farbton, der das Kontinuum zur Synagoge im Hinterhof bildet; die abgehängten Decken wurden entfernt und geben dem Raum seine ursprüngliche Höhe zurück, die Parkettböden sind neu verlegt und greifen die Akzente der Mauervorsprünge auf. Neu sind auch die Stuckrahmen, die Türen, Tische, Stühle und die Leuchter. Noch immer riecht es nach frischer Farbe.

»Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen, es ist modern und würdigt zugleich unsere Tradition«, freut sich Joachim Jacobs auch vier Monate nach der Wiedereinweihung des Kidduschraums, der zu Ehren des langjährigen Oberkantors der Synagoge, Estrongo Nachama, in »Estrongo-Nachama-Kidduschsaal« umbenannt wurde.

Es ist, als würden die Räume nun erst richtig die Geschichte der Synagoge und derer erzählen, die ihre Tradition jahrzehntelang gestaltet haben.

»Wir haben damit einen Ort geschaffen, an dem die Leute zusammenkommen – das ist ganz im Sinne Estrongo Nachamas«, freut sich auch Rabbiner Jonah Sievers. Denn Estrongo Nachama, der 1947 das Kantorenamt in der Gemeinde übernahm, habe sie »nach der Schoa als Ort der Zusammenkunft und Gemeinschaft maßgeblich wieder mitaufgebaut«. Ermöglicht wurde die Sanierung dank der Spende einer »Freundin und großzügigen Unterstützerin der Gemeinde«, sagt Joachim Jacobs.

GALERIE »Endlich kommen die Proportionen des Raumes gebührend zur Geltung«, findet der Landschaftsarchitekt, der sich hauptsächlich der Denkmalpflege widmet und als Gabbai seit 20 Jahren im Synagogenvorstand sitzt. Doch es ist mehr als das. Es ist, als würden die Räume nun erst richtig die Geschichte der Synagoge und derer erzählen, die ihre Tradition jahrzehntelang gestaltet haben. »Hier zum Beispiel«, sagt Jacobs und läuft den Flur entlang zur Synagogentür, durch die die Beter nach dem Gottesdienst zum Kiddusch strömen.

Dort, wo man sich früher zwischen meterhohen Schränken und verwinkelten Fluren entlangschlängeln musste, wurden nun Wände versetzt, sodass man zunächst ein Vestibül betritt. Hier gibt eine abgerundete Ecke in schlichtem Hellgrau den Blick frei auf ein Bild des Künstlers Pavel Feinstein, der ebenfalls Beter der Synagoge ist. Er hat im Zuge des Umbaus zwei Stillleben gespendet. Geplant sind weitere Bilder an den Flurwänden – eine Ahnengalerie aus Rabbinern und Kantoren von der Nachkriegszeit bis heute.

Zunächst befreiten die Gabbaim die Schriftrollen vom Staub der Jahrzehnte und wickelten sie in Tallitot.

Anstelle des früheren Stahlschranks, in dem einst Toraschmuck und Kidduschbecher aufbewahrt wurden, erstrahlt der Silberschmuck nun in einer beleuchteten Vitrine, die in die Wand eingelassen wurde, darunter eine Silberschüssel von 1882, ein silberner Etrog aus der Synagoge Lützowstraße von 1893 und Alijotplättchen aus der Vorkriegszeit. Der Synagogenvorstand will auch den Eingangsbereich zwischen Synagoge und Kidduschraum nach jemandem benennen, der für das Bethaus wichtig war.

Die Wahl fiel auf Betty Jacobsohn, die Frau, die die Synagoge hat erbauen lassen, in Auschwitz ermordet wurde und heute völlig in Vergessenheit geraten ist. »Der Grundgedanke ist: Diejenigen, die die Synagoge geprägt und an ihrer Tradition mitgewirkt haben, ins Gedächtnis zurückzuholen, sie in Erinnerung zu behalten; mit dem Umbau wollen wir sie angemessen würdigen«, sagt Gabbai Joachim Jacobs.

Zusammen mit dem Architekten Ilja Gendelmann hat Jacobs das Projekt Kidduschraum betreut. Diesbezügliche Erfahrungen bringt der Landschaftsarchitekt von der Rekonstruktion der Synagoge zwischen 2012 und 2014 mit. Schon damals sei abzusehen gewesen, dass auch die übrigen Räume in der Pestalozzistraße dringend saniert werden müssten, sagt Jacobs.

Es wurde ein Ort für die Gemeinschaft geschaffen – ganz im Sinne von Estrongo Nachama.

Wie dringend, stellte sich erst heraus, als die Bauarbeiten bereits in vollem Gange waren. Asbestverseuchte Spanplatten, Berge von Schutt, die abgetragen werden mussten, verborgene Treppen in Nebengänge, die man beim Öffnen der Böden entdeckte und die das Team vor die Herausforderung stellten, die Hohlräume so zu füllen, dass die Wand auch trägt. »Wir haben eine Überraschung nach der anderen erlebt«, sagt Joachim Jacobs rückblickend.

Für Wirbel sorgte vor allem der Fund von 17 Torarollen. Jahrzehntelang waren sie in deckenhohen alten Schränken auf dem Flur zwischen Synagoge und Kidduschraum verwahrt worden – ohne dass jemand davon wusste. Die Schränke seien so etwas wie »terra incognita« gewesen, Niemandsland. Erst im Zuge der Bauarbeiten habe man einen Blick hineingewagt – und sei erschrocken gewesen.

GENIZA »Das war wohl eine Art Geniza«, erklärt Joachim Jacobs den Zustand der Torarollen. Sie waren offenbar schon aussortiert worden, jedoch nicht so würdevoll, wie man sich das wünschen würde. Das soll sich nun ändern. Zunächst befreiten die Gabbaim die Schriftrollen vom Staub der Jahrzehnte, wickelten sie in Tallitot und bewahrten sie in einem separaten Raum auf. Schon jetzt laufen Spenden zu ihrer Restaurierung ein. Derweil liegen die meisten von ihnen vorerst im Aron Hakodesch im Kidduschraum, sorgsam umhüllt mit samtenen Toramänteln.

Joachim Jacobs öffnet den Schrank, hebt eine der Rollen heraus und legt sie vorsichtig auf den Tisch. »Demnächst kommt ein Sofer aus Israel, der die Rollen überprüft. Danach entscheiden wir, wie es weitergeht«, sagt Jacobs. Es ist dem Gabbai anzumerken, wie viel ihm das Projekt bedeutet – nicht nur aus architektonischer, sondern vor allem aus spiritueller Sicht.

So kann er sich vorstellen, die Schriftrollen, die nicht mehr zu retten sind, an ein Museum zu geben, statt sie auf dem Friedhof zu beerdigen, etwa das Museum Glückstadt. »Dort lebte früher eine große jüdische Gemeinde, dem Museum fehlt eine Torarolle, da könnte man eine von unseren mit dazugehörigem Kontext ausstellen«, sagt er.

Es ist reiner Zufall, dass der Kantor die beschädigte Torarolle an genau dieser Stelle, »Ma Towu«, aufgeschlagen hat. Sie könnte passender nicht sein.

Inzwischen ist Isidoro Abramowicz dazugestoßen. Als der Kantor der Synagoge Pestalozzistraße den geöffneten Aron Hakodesch sieht, kann er nicht widerstehen und streift die Rollen. »Dieser Mantel hier ist von 1923, dieser dort ist noch älter«, ruft er begeistert aus. Als der Kantor die Torarolle auf dem Tisch entdeckt, rollt er sie behutsam auseinander und beginnt intuitiv an einer Stelle zu lesen.

»Wie schön sind deine Zelte, Jakob, und deine Wohnungen, Israel!«, liest Isidoro Abramowicz bewegt. Es ist reiner Zufall, dass der Kantor die beschädigte Torarolle an genau dieser Stelle, »Ma Towu« aus dem 4. Buch Mose, Abschnitt Balak, aufgeschlagen hat. Sie könnte passender nicht sein. Denn durch die neu gestalteten Räume bleibt auch die Geschichte der Synagoge und derer lebendig, die ihre Tradition beeinflusst haben.

Es gibt noch viel zu zeigen. Der Kidduschraum ist erst der Anfang. Da sind sich Rabbiner, Kantor und Gabbai einig.

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