Sie haben sich getroffen. Doch wer sich aus dem Gespräch am Dienstagnachmittag zwischen dem Gemeindevorsitzenden Gideon Joffe und Staatssekretär André Schmitz eine Einigung erhofft hatte, der wurde enttäuscht. Denn obwohl laut Senat über »offene Fragen« geredet worden sei und die Atmosphäre aus Sicht der Gemeinde »konstruktiv und freundschaftlich« war, haben beide Seiten vereinbart, über den konkreten Inhalt zu schweigen.
Ende Juni wollen sich die Parteien erneut zusammensetzen, um weiter miteinander zu reden. Bedarf gibt es reichlich. Denn die Jüdische Gemeinde zu Berlin steckt in einer Krise. Und der Konflikt zwischen der Gemeinde und der zuständigen Senatskulturverwaltung spitzt sich immer weiter zu.
Der Senat hatte die Zahlungen an die Gemeinde Anfang Mai mit der Begründung ausgesetzt, dass die Gemeinde den Wirtschaftsplan verspätet und nicht vollständig eingereicht habe. So fehle zum Beispiel der Stellenplan. Vonseiten der Senatskulturverwaltung könne nicht nachvollzogen werden, wie viel Personal mit welcher Bezahlung wo eingesetzt werde.
Die genaue Anzahl der Stellen sei aber wichtig, weil davon die Höhe der Zuwendungen abhänge. Im Jahr 2012 beliefen sich diese Zuwendungen des Landes Berlin zum Haushalt der Jüdischen Gemeinde auf höchstens 3,1 Millionen Euro pro Quartal. Weil der Senat den Wirtschaftsplan noch prüfe, verzögere sich die Auszahlung.
Offener Brief Für den Vorsitzenden der Gemeinde, Gideon Joffe, ist damit, wie er in einem Offenen Brief vom 13. Mai betonte, eine »rote Linie« überschritten. Die Mitarbeiter der Gemeinde, so Joffe, müssten im Mai mit verspäteten Zahlungen rechnen. Auch andere »Rechnungen für unsere Dienstleister« würden wohl erst zu einem späteren Zeitpunkt beglichen werden können. Zudem sei bereits seit Jahren die Berechnung des Staatszuschusses durch den Senat nicht korrekt erfolgt. Insofern habe die Gemeinde »berechtigte Ansprüche aus dem Staatsvertrag«, auf die sie nun verzichten solle.
»Natürlich wird sich die Gemeinde dieser unfairen und illegitimen Form der Einflussnahme nicht beugen«, schreibt Joffe. Vielmehr sei sie entschlossener denn je, für ihre Rechte einzutreten, heißt es in dem Brief weiter.
Unterdessen hatte Carola Melchert-Arlt, die ehemalige Bildungsdezernentin, öffentlich ihren Rücktritt vom Vorstandsamt erklärt. Melchert-Arlt gehe diesen Schritt »mit aller Entschiedenheit«. Er solle als ein Zeichen ihrer persönlichen Zustimmung und Unterstützung für vorgezogene Neuwahlen angesehen werden, heißt es in einem Offenen Brief an die Mitglieder der Repräsentantenversammlung (RV) und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Opposition Auch von der Opposition kommt heftiger Gegenwind. Michael Joachim warnte die Gemeindemitglieder davor, sich von dem Ergebnis des Gesprächs am Dienstag zwischen der Gemeinde und dem Senat täuschen zu lassen: »Joffe und sein Vorstand müssen noch ihre Hausaufgaben machen und umgehend auf die berechtigten Forderungen nach einem genauen Stellenplan und einem solide verfassten Wirtschaftsplan eingehen«, betont Joachim, einer der Initiatoren der Initiative Neuwahl 2013.
Noch vor Bekanntwerden des Offenen Briefes von Gideon Joffe hatten die Gemeinderepräsentanten Micha Guttmann, Michael Joachim und Tuvia Schlesinger von einem in der Geschichte der Gemeinde beispiellosen Vorgang gesprochen: »Das Verhältnis zum Senat ist nachhaltig zerrüttet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen vor einer ungewissen nahen Zukunft. Eine Sanierung der Gemeinde ist in weite Ferne gerückt.«
Nach eigenen Angaben habe die Initiative, die Neuwahlen in der Gemeinde zum Ziel hat, bereits über 1500 Unterschriften erhalten. Der Gemeindepolitiker fordert: »Wegen der dramatischen Fehlentwicklungen innerhalb der Gemeinde und ihrer Außenwirkung müssen die Gemeindemitglieder jetzt schnell neu über ihre Zukunft entscheiden können.«
Aufruf Auch die Initiative »Schalom« ist vom Zustand der Gemeinde schockiert. In ihrem Aufruf, der mit »Der Weg aus der Sackgasse – ein Fahrplan zum Frieden unserer Gemeinde« betitelt ist, schreiben Sergey Lagodinsky, selbst Mitglied der Repräsentantenversammlung, sowie die Initiativemitglieder Vlada Zdesenko und Mike Delberg, die Gemeinde befände sich »in einer der tiefsten Krisen ihrer Nachkriegsgeschichte«.
Ihre Zukunft sei »noch nie so gefährdet« gewesen. Vertrauen, Kommunikation und Respekt seien auf allen Ebenen »Mangelware geworden«. Dass Mitarbeiter der Gemeinde »entlassen, versetzt oder weggemobbt« und »Glaubensströmungen gegeneinander ausgespielt« würden, wären Zustände, die nicht »auszuhalten« seien, heißt es in dem Aufruf, der auf der Repräsentantenversammlung am Donnerstag detailliert vorgestellt werden soll.
Der Plan sei, dass sich alle Gruppen der RV einvernehmlich einigten. Außerdem solle ein kommissarischer Vorstand gebildet werden und die Beziehungen zwischen jetztigem oder zu bildendem Vorstand und dem Land Berlin normalisiert werden.