Beim Rundgang durch die ehemalige Synagoge gerät Judith Neuwald-Tasbach ins Schwärmen: »Hier habe ich als Kind ge-
spielt, direkt neben dem Schreibtisch meines Vaters«, sagt die heutige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen. Schon seit drei Jahren wird in der Ruhrgebietsstadt nun in der neuen, modernen Synagoge Georgstraße gebetet und gelehrt. Von den alten Beträumen in der Von-der-Recke-Straße aber wollten sich die Gelsenkirchener nicht so schnell trennen. Nach zwei Jahren Planung ist dort ein Begegnungszentrum entstanden.
Zur Eröffnung am 25. April war auch die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, ge-
kommen. »Aus einem Ort des Gebets wird ein Ort der Begegnung – eine schönere Umwidmung kann man sich nicht vorstellen«, sagte Knobloch. Die neue Begegnungsstätte Alter Jüdischer Betsaal nannte Knobloch beispielhaft.
erinnerungsstück Denn das Haus ist mehr als das. Im Erdgeschoss ist ein Museum eingerichtet. Im hellen und nüchtern eingerichteten Foyer fällt der dunkle Holzschreibtisch auf, von dem aus sich einst Kurt Neuwald – Ehrenbürger der Stadt Gelsenkirchen und erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg – um den mühsamen Wiederaufbau eines Gemeindelebens kümmerte.
Heute informieren Schau- und Texttafeln über jüdisches Leben und Religion in Gelsenkirchen. Mithilfe des Instituts für Stadtgeschichte und dem Jüdischen Museum in Dorsten hat die Gemeinde Gegenstände das jüdischen Alltags als Ausstellungsstücke für die Glasvitrinen gefunden. Sie zeugen vom Wiederaufbau.
1952 war sie nach der Schoa als Einheitsgemeinde offiziell wiedergegründet worden. Sechs Jahre später kauften die Gelsenkirchner Juden das Haus an der Von-der-Recke-Straße in der Altstadt und richteten es als Synagoge ein. Geblieben ist davon heute noch der Betsaal, und das fast originalgetreu.
geschichtsträchtig Wer aus dem hellen Foyer in die mit dunklen Holzwänden und -boden ausgestattete Synagoge kommt, spürt den Hauch der Geschichte. Nahezu andächtig betrachten die Besucher den Innenraum des ehemaligen Gotteshauses. Von den einstigen, kunstvoll gestalteten Bleiglasfenstern – die in der neuen Synagoge Verwendung fanden – wurden Fotos gemacht, auf Folien gezogen und auf die modernen Fenster übertragen. Bemüht um Treue zum Original, ist auch der Toravorhang aus altem blauen Samtstoff gefertigt – lediglich die Verzierungen sind nicht aufgestickt, sondern aufgedruckt.
Eine andere Alternative als diesen Raum zu Begegnungsstätte und zum Museum zu machen, schloss sich für Judith Neuwald-Tasbach aus. »Wir konnten uns nicht vorstellen, hier einmal ein Restaurant oder Lagerräume einzurichten.« Und als sie in alten Aktenordnern der Gemeinde, kurz vor dem Umzug in die neue Synagoge, von den Neuanfängen der Gemeinde in den 50er-Jahren las, stand fest, ihren Plan Wirklichkeit werden zu lassen.
Mit Unterstützung der Stadt Gelsenkirchen und mithilfe des Landes und Bundes sowie des Zentralrats der Juden konnten die Vorhaben finanziert werden. Als Museum will Judith Neuwald-Tasbach das Begegnungszentrum jedoch nicht verstanden wissen: »Dieser Betsaal kommt ohne große Infotafeln aus. Hier muss ich Geschichte nicht erlesen – ich kann sie erspüren.«
Das Kennenlernen der jüdischen Religion steht im Mittelpunkt. Und die Erinnerung an die Zeit, »in der jüdisches Leben in Gelsenkirchen nach der Katastrophe wieder angefangen hat«. Das Begegnungszentrum soll Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart der Gemeinde in Gelsenkirchen sein. »Ich hoffe, dass viele Menschen diese Begegnung mit uns suchen«, sagt Judith Neuwald-Tasbach.
Am ersten Tag der offenen Tür sind zwar nicht ganz so viele Gäste gekommen wie erwartet. Doch interessiert lauschen sie der Lesung von Lea Fleischmann, fragen nach der ausgestellten Torarolle, nach der Bedeutung des ewigen Lichts in der Synagoge oder nach Kaschrutregeln. Auch Gemeinderabbiner Chaim Kornblum steht gerne Rede und Antwort.
Mittwochs und sonntags sind die Türen des Begegnungszentrums von 13 bis 17 Uhr geöffnet. 30 ehrenamtliche Helfer aus der Gemeinde, die sich beim Jüdischen Museum in Dorsten haben fortbilden lassen, machen das möglich.