Frankfurt

Der jüdische Straßenengel

Unter den Mainbrücken: Sabi Uskhi hilft mit wärmenden Decken. Foto: Rafael Herlich

Kaschmir-Pullover, Jeans, Hundekissen, Schlafsäcke und Strampelanzüge, verpackt in Kisten und Tüten – der Keller von Sabi Uskhi gleicht dem leicht chaotischen Warenlager eines Bekleidungsgroßhandels. Doch der 49-Jährige kauft und verkauft nichts, sondern sammelt Spenden und verschenkt sie.

Seit etwa 16 Jahren tourt Uskhi durch Frankfurt und versorgt Obdachlose mit Lebensnotwendigem. Gerade erst hat der gebürtige Tel Aviver eine Firma gefunden, die ihm wintertaugliche Schlafsäcke zum Einkaufspreis überlässt. »Obdachlose brauchen frostresistente Schlafsäcke, sonst erfrieren sie im Schlaf.« Denn Alkohol und manchmal auch Drogen betäubten häufig das natürliche Kältegefühl des Körpers und verhinderten, dass die Obdachlosen durch das Warnsignal des Fröstelns geweckt werden.

Finanziert werden diese Schlafsäcke durch Spenden – ebenso wie viele andere Dinge, die der »Street Angel«, wie er genannt wird, für »seine Leute« kauft. »Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, wie ich helfe« – unter anderem durch die Facebook-Seite »Frankfurter Flohmarkt«, bei der jeder Verkäufer gehalten ist, einen Teil seines Verkaufserlöses für die Hilfsaktionen abzutreten.

Kleiderkammern Auch viele Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt gehören der Flohmarkt-Gruppe (Kontakt: f-flohmarkt@web.de) an. Zudem zählen einige von ihnen zu den besonders eifrigen Kleiderspendern, berichtet der gelernte Einzelhandelskaufmann. Manchmal stehen Kisten voll edler Waren vor seinem Gesundheitsinstitut Wellrex, wo er die Sachen lagert. »Besonders wertvolle Kleider bringe ich allerdings nicht auf die Straße. Sonst riskieren die Obdachlosen, überfallen zu werden.« Kaschmir-Pullover oder Lammfellstiefel trägt Uskhi lieber ins Frauenhaus, das er auch mit Kindersachen versorgt. Zudem hilft er, die Kleiderkammern von Diakonie und Caritas zu füllen.

Das Helfen sei ihm von seiner Mutter, einer rumänischen Jüdin, quasi in die Wiege gelegt worden, sagt Uskhi. »Wenn meine Mutter hörte, dass die Eltern eines Schulfreundes gerade knapp bei Kasse waren, packte sie mir die doppelte Menge Pausenbrot ein.« Am Wochenende, wenn aufwendiger als sonst gekocht wurde und der Essensduft durch das Frankfurter Mietshaus zog, kam schon mal der eine oder andere Nachbar mit seinem Teller. »Meine Mutter war sehr religiös. Ich verbinde das Judentum daher immer mit Hilfsbereitschaft«, sagt Uskhi.

Der Blick für die Nöte anderer – vielleicht fiel ihm deshalb als 20-Jährigem, auf dem Heimweg von der Disco, ein eigenartig gekrümmt sitzender Mann am Mainufer auf. »Er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten, ich habe die Wunde abgedrückt und den Krankenwagen gerufen.« Später leistete er einem verunglückten Autofahrer Erste Hilfe und zog bei einem Massenunfall einen Mann aus einem brennenden Auto, wofür er Jahre später die Bayerische Rettungsmedaille erhielt.

Erste Hilfe »Schon seltsam, dass immer mir das passiert. Aber ich bin auch dankbar dafür. Denn all das hat mich dazu gebracht, zum Roten Kreuz zu gehen.« Er trat ehrenamtlich in die Wasserwacht ein und belegte alle Kurse, die ihm angeboten wurden. Damals rettete er einem Mädchen das Leben, das bei einem Mini-Triathlon zu ertrinken drohte. Sein medizinisches Wissen hilft ihm bis heute in seinem Beruf, der Arbeit als »Personal Trainer« und Heilpraktiker, bei der er neben Coaching und Fitness-Training auch Ernährungsberatung anbietet.

Doch wie kommt man dazu, jene zu unterstützen, die in den Einkaufsstraßen und U-Bahnhöfen ihr menschenunwürdiges Dasein fristen? Der Auslöser dafür sei ein Abendessen in einem China-Restaurant gewesen, erzählt Uskhi. »Während ich mit Freunden am Tisch saß und gegessen habe, sah ich vor dem Lokal einen Mann, der in einen Mülleimer griff und sich das, was er dort fand, in den Mund steckte. Da konnte ich nicht einfach weiteressen – und habe ihm meinen Teller rausgebracht.« Das Gezeter der Restaurantbesitzer scherte ihn nicht, er bestellte noch eine Take-away-Portion und ein Getränk. »Das Lächeln, das ich für diese winzige Hilfe bekommen habe, hat mich dazu gebracht, anzufangen.«

Helfersyndrom In den vergangenen 16 Jahren hat er viel gelernt. Etwa, dass »man sein überhebliches Helfersyndrom ablegen muss«. Obdachlose hätten Angst, alles aufgezwungen zu bekommen. »Ich gehe also nicht zu ihnen und sage, dass ich einen Pullover für sie habe. Sondern ich frage, ob sie vielleicht etwas brauchen.« Wenn sie merkten, dass man ihnen nicht vorwerfe, dass sie auf der Straße leben, sondern sich ehrlich für sie interessiere, »lassen sie einen auch an sich heran«. Die meisten wollten zurück unter ein Dach, aber sie hätten Angst. »Sie wollen nicht zugeben, dass sie Hilfe brauchen«, sagt Uskhi.

Um die Obdachlosen noch besser unterstützen zu können, will Sabi Uskhi nun einen Verein gründen. Er hofft, höhere Summen akquirieren zu können, wenn er dafür Spendenquittungen ausstellen kann. Und er träumt von städtischen Räumen, in denen er eine Suppenküche einrichten kann. Bis es so weit ist, wird der Frankfurter bei Minustemperaturen abends weiterhin unruhig, bis ihm seine Frau zuraunt: »Fahr schon!« Dann belädt er sein Auto, um nach einer Absprache mit dem Frankfurter Kältebus-Team »eine Runde zu drehen«. Und um zu verteilen, was er nach bester jüdischer Tradition geschnorrt hat.

Spendenkonto: Rechtsanwältin Tanja Harward, Konto 7100018572, BLZ 50190000, Frankfurter Volksbank

Frankfurt/Main

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