Jahrelang moderte das Gebäude vor sich hin, jetzt soll alles plötzlich ganz schnell gehen: In der münsterländischen Kreisstadt Steinfurt will die Ratsmehrheit die Villa Heimann abreißen. In dem inzwischen über 100 Jahre alten Gebäude wohnte der Viehhändler Albert Heimann mit seiner Familie. Die Heimanns wurden ab 1938 schrittweise aus ihrem Zuhause vertrieben, Albert und seine Frau Frieda 1943/44 in Auschwitz ermordet.
In die Villa zogen Amtsstuben ein, nach dem Krieg Büros einer Textilfabrik. Seit Anfang der 90er-Jahre steht sie leer. 2002 beantragte die SPD-Ratsfraktion, das Gebäude zu erhalten. 2011 entstand die Idee, die Villa als funktionalen Teil in den geplanten Erweiterungsbau für die benachbarte Feuerwache einzubeziehen. Den Plänen zufolge würde das etwa 100.000 Euro mehr kosten als der Abriss.
Spenden Die Initiative Stolpersteine Steinfurt sammelte Spenden in Höhe der Mehrkosten. Im Mai 2013 dann sollte nur noch eine Ecke des Hauses erhalten bleiben. Auch dabei blieb es nicht: Im Januar 2014 beschloss die Mehrheit des Bauausschusses plötzlich den vollständigen Abriss. Doch der Beschluss wurde aus formalen Gründen vom parteilosen Bürgermeister Andreas Hoge für ungültig erklärt.
Unter dem Motto »Rettet die Villa Heimann« startete die Initiative Stolpersteine Ende Februar eine Internet-Petition. »Durch den Abriss würde das letzte Zeugnis jüdischen Lebens in unserem Stadtteil vernichtet«, heißt es da. Zumindest die Fassaden der Villa sollten »als Mahnmal für die Verfolgung jüdischer Familien (...) und als Zeichen gegen wachsenden Antisemitismus und Rechtsextremismus« erhalten bleiben. Bereits vier Wochen vor ihrem Ende hat die Petition mehr als 2000 Unterstützer.
Stadtrat Doch der Stadtrat drückt aufs Tempo: Schon diese Woche will der Bauausschuss einen gültigen Abrissbeschluss fassen, der im Juni umgesetzt werden soll. »Wir würden dagegen eine einstweilige Verfügung beim Verwaltungsgericht beantragen«, kündigt Ludger Kannen von der Stolperstein-Initiative im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen an. Bereits Anfang März hatten die Nachfahren der Familie Heimann den geplanten Abriss kritisiert: Dieser würde »im Widerspruch zu den ernsthaften Bestrebungen der deutschen Regierung stehen, sich mit der jüdischen Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu versöhnen«.
Vergangene Woche schrieb Sharon Fehr, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Münster, einen Offenen Brief, in dem er Bürgermeister Hoge sowie den Rat und die Fraktionen des Stadtparlamentes fragte, ob sie »es verantworten wollen, ›grünes Licht‹ für die endgültige Beseitigung jüdischer Spuren in ihrer Stadt« zu erteilen. Hoge war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
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