Herr Heumann, nach sechs Jahren als Gesandter des Keren Hayesod (KH) verlassen Sie nun Berlin, um in Israel stellvertretender Europa-Direktor bei KH zu werden. Was war für Sie das herausragende Erlebnis in dieser Zeit?
Die Brit Mila unseres Sohnes. Als Enkel von Holocaust-Überlebenden war es für mich ein Moment des Sieges und der Kontinuität, die Brit Mila in einer Synagoge in Berlin zu feiern.
Was hat sich nach dem 7. Oktober an Ihrer Arbeit geändert?
Alles. Viele neue Spender sind zu uns gekommen. Als Israeli hat es mich sehr berührt zu sehen, wie viele Menschen Israel unterstützen möchten. Privatpersonen und deutsche Unternehmer haben sich Mühe gegeben, den Menschen in Israel beizustehen. Ich bin zutiefst dankbar für die überwältigende Unterstützung und Solidarität, die wir erfahren haben. In dieser dunklen Zeit gibt es nicht viele Gründe, optimistisch zu sein, aber unsere Spender sind ein großes Licht in dieser Dunkelheit. Das wärmt mein Herz.
Welche Projekte möchte KH fördern?
Unsere große Stärke als nationale Institution ist, dass wir unsere Projekte stets an die aktuelle Situation anpassen. Wo die Not am größten ist, dort unterstützen wir. Derzeit liegt unser besonderer Fokus auf dem Wiederaufbau im Süden und der vielfältigen Unterstützung der Terroropfer vom 7. Oktober 2023 – insbesondere durch psychologische Hilfe für Kinder und Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Die Geschichte und Bilder kennen wir alle. Wie kann man von solchen Situationen wieder ins Leben kommen? Das wird für uns alle eine Herausforderung.
Sie sind in der Schweiz aufgewachsen, zogen als Kind nach Israel. Nun werden Sie aus der Diaspora nach Israel gehen. Was für ein Land werden Sie vorfinden?
Israel hat sich in den vergangenen sechs Jahren verändert. 2023 war ein dramatisches Jahr, auch schon vor dem 7. Oktober. Am Anfang des Jahres stand die Justizreform im Fokus. Aus vielen Gründen befindet sich Israel derzeit in einer der schwierigsten Situationen seit 1948. Yitzhak Rabin hat einmal gesagt, dass Israel keine Goldminen, kein Öl und keine Diamanten hat. Es ist arm an natürlichen Ressourcen. Aber es besitzt ein seltenes menschliches Potenzial. Da stimme ich hundert Prozent zu. Unser größtes Glück ist der gute Charakter der Menschen in Israel. Ich weiß, dass es ein bisschen dauern wird, aber Israel wird wieder auf den richtigen Weg kommen.
Wahrscheinlich wird Israel noch viel mehr Unterstützung als in der Vergangenheit brauchen, der Krieg kostet Geld. Wird KH dadurch noch größer und wichtiger?
Am 7. Oktober wurde klar, wie wichtig es ist, dass es KH gibt. Israel ist seit mehr als zehn Monaten im Krieg, und es gibt Gebiete, die evakuiert sind. Das stellt auch eine finanzielle Katastrophe dar. Tausende von jungen Menschen sind seit zehn Monaten als Reservisten im Einsatz, was ihr persönliches Leben sowie ihre Arbeit oder Geschäfte stark beeinflusst. Beim Wiederaufbau spielt KH eine zentrale Rolle. Damit meine ich nicht nur den physischen Wiederaufbau, sondern auch den persönlichen Aufbau. Deshalb war es auch für mich persönlich wichtig, bei KH zu bleiben.
Als Jurist haben Sie drei Jahre als Politikberater in der Knesset gearbeitet. Werden Ihre Erfahrungen Ihnen jetzt helfen?
Ja. Diese Zeit hat mir wertvolle Einblicke in die politischen Prozesse und die Kunst des Koalitionsaufbaus vermittelt. Ich habe gelernt, wie man Projekte und Gesetze erfolgreich voranbringt und wie man effektiv mit verschiedenen Parteien und Interessengruppen zusammenarbeitet. Diese Erfahrungen werden mir helfen, strategische Entscheidungen zu treffen, effektive Allianzen zu schmieden und gemeinsame Ziele zu erreichen.
Wie wird der Abschied aus Berlin? Was wird Ihnen in Israel fehlen?
Ehrlich gesagt wird der Abschied aus Berlin schwierig sein. In den vergangenen sechs Jahren habe ich gelernt, Berlin zu lieben, und heute betrachte ich es als eine der besten Städte der Welt. Es gibt so viele verschiedene Ecken, und jeder kann sich in seiner Ecke wohlfühlen. Auf jeden Fall werde ich unsere treuen Spender vermissen. Es war für mich eine riesige Ehre, so besondere Menschen kennenzulernen und mit ihnen befreundet zu sein. Ich hoffe, wir bleiben weiterhin in Kontakt. Es mag vielleicht lustig klingen, aber ich werde auch die Spielplätze vermissen. Ich finde sie so einfach, aber sie sind perfekt ausgestattet, und die Ruhe – es ist so ruhig! In einer leeren Bibliothek in Israel ist es lauter als auf einem vollen Spielplatz mit Kindern in Berlin.
Mit dem Gesandten der Organisation Keren Hayesod sprach Christine Schmitt.