Leipzig

Dabei sein war alles

Wahre Fans: Rabbi Zsolt Balla (2.v.l.), Gemeindechef Küf Kaufmann (M.) und Rabbi Josh Spinner (2.v.r.) feiern mit Gästen. Foto: Douglas Abuelo

Zsolt Balla ist der Star des Abends. Als der Rabbiner den großen Saal des Kulturzentrums betritt, geht ein Raunen durch die Gästeschar. Balla, der 33 Jahre alte und in Budapest geborene Neu-Leipziger, hat einen Fanschal um seinen Hals gelegt – bestehend je zur Hälfte aus der deutschen und der israelischen Flagge. Seine Frau Marina hat das besondere Stück in einem Kaufhaus gefunden, und nun – ein paar Stunden vor dem denkwürdigen Spiel der Nationalmannschaften aus Deutschland und Israel – möchte jeder ein Foto mit dem Rabbi.

Als bekennender Fußballfan konnte der 2009 ordinierte Balla wegen des Schabbats zwar jüngst das Finale der Champions-
League zwischen dem FC Bayern München und Chelsea nicht live im TV verfolgen – an diesem Donnerstagabend aber ist er auf jeden Fall dabei, wenn es in die vor ein paar Jahren neu gebaute Arena geht. Deutschland kickt gegen Israel, das muss man einfach selbst gesehen haben.

Gäste Am Tag, da sich Leipzig auf dieses Spiel freut, feiert auch die Gemeinde. Die Jüdische Gemeinde Leipzig hat vor dem besonderen Match zur Party in ihr Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus eingeladen. 60 Gäste aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die eines der begehrten Tickets erhalten haben, wollen sich vorab treffen – und Gäste aus den USA werden überdies erwartet. Damit bei solch einer Party auch alle ordentlich bewirtet werden können, haben die Gastgeber bereits zwei Tage vorher mit dem Kochen begonnen.

Der Leipziger David Horenstein, der an der Yeshivas Beis Zion in Berlin studiert, ist eigens aus der Hauptstadt angereist, um als Maschgiach die koschere Zubereitung der Speisen zu beaufsichtigen. Jedes Rucola-Blatt hat Horenstein gewendet und kontrolliert, ob auch die Thüringer Bratwürste und die Hähnchenbrustfilets tatsächlich den strengen Anforderungen genügen. Und so zieht sich schon bald der leckere Duft von frisch Gegrilltem durch den großen Saal, der an das Mehrgenerationenhaus angrenzt.

»Freunde feiern«, umreißt Gemeindevorsitzender Küf Kaufmann das große Motto des Tages. Immerhin habe sich die Stadt gemeinsam mit der Gemeinde schon Tage vorher auf die außergewöhnliche Begegnung eingestimmt. Es gab eine Podiumsdiskussion über die Entwicklung des israelischen Fußballs, ein Film über Maccabi Jaffa wurde gezeigt, und gewissermaßen als Vorspiel traten Maccabi München gegen Roter Stern Leipzig Allstars auf dem Rasen gegeneinander an.

Beste Voraussetzungen also, um nun einen weiß-blauen Fanblock in der Red Bull Arena zu bilden. Dass es an einem solchen Abend wie aus Gießkannen schüttet – ist eigentlich Nebensache. Doch auch in anderer Hinsicht wird das Spiel Premiere und Höhepunkt zugleich sein. Die aus Chemnitz stammende Evgenia Frandlitz war selbst noch nie in einem Fußballstadion.

Nun ist die in Jena immatrikulierte Medizinstudentin eigens nach Leipzig gekommen, um sich das Match der Löw-Elf gegen das Guttman-Team anzuschauen. »Eigentlich gibt es zwei Gründe«, erzählt die 21-Jährige. »Es ist eine ganz gute Gelegenheit, bei einer Party wie dieser Menschen mit jüdischem Hintergrund zu treffen.« Man könne erzählen und plaudern, man erfahre etwas über das Leben der anderen, treffe auch Freunde wieder.

»Und dann bin ich natürlich super gespannt, wie die Atmosphäre in so einem Stadion ist.« Nicht nur in fußballerischer Hinsicht, sondern auch mit Blick auf die Reaktionen der Zuschauer. Schließlich habe sie in ganz Leipzig ausschließlich deutsche Fahnen und DFB-Trikots entdeckt.

»Na ja, wir sind ja auch in Deutschland«, kontert Emil Schneiser und lacht. Der 19 Jahre alte und ursprünglich aus Erfurt stammende Student der Wirtschaftsinformatik ist ebenfalls als Gast gekommen. Fußballinteressiert sei er schon, sagt er. »Aber auch ich möchte hier Freunde und Bekannte sehen, habe gehört, dass sogar ein Bus mit Berliner Fans kommt.«

Doch die ersten Berliner, die eintreffen, stammen aus Miami. Es sind amerikanische Studenten. Im Rahmen des Morasha-Programms und mit Unterstützung der Lauder Foundation bereisen sie vor ihrer Weiterfahrt nach Israel zunächst Deutschland: Berlin, bis zum Ende des Schabbats sind sie in Leipzig. Dann wollen sie das ehemalige KZ Sachsenhausen besuchen. So ist das Match in Leipzig natürlich für alle, die sich sonst eher Rugby und Basketball anschauen, eine willkommene Abwechslung. Und etwas angespannt sind sie auch. Schließlich geht es ein paar Tage später zur Gedenkstätte.

Dort wird die 18 Jahre alte Adi Monzon auch einem Stück ihrer eigenen Familiengeschichte begegnen. Ihr Großvater war als jüdisches Kind auf Anordnung des KZ-Arztes Josef Mengele aus Auschwitz ins brandenburgische Lager geschickt worden. Mit zehn weiteren Kindern überlebte er die grausamen medizinischen Versuche.

Als er viele Jahre später in Israel eine Gedenkstätte besuchte, hieß es bei der Führung, alle seien umgekommen. Da habe sich ihr Opa gemeldet und sich als Überlebender zu erkennen gegeben. So resultierte aus dem Bekenntnis eine Fahrt nach Sachsenhausen – viele Jahre später folgt ihm nun die Enkelin aus Queens. »Obwohl das schwierig ist: Ich bin froh, hier zu sein und Deutschland kennenzulernen.«

Favorit Dass Deutschland das Match gegen das auf Weltranglistenplatz 58 rangierende Team gewinnen würde, stand für Adi Monzon fest – aber es ist ihr eigentlich egal. Und auch Balla erhoffte sich eigentlich nur ein schönes Spiel mit möglichst vielen Toren. Es sind nur ein paar Minuten vom Ariowitsch-Haus, die der Rabbi, die Amerikaner, Evgenia Frandlitz und Emil Schneiser bis zum Stadion zu Fuß zurückzulegen haben.

Sie laufen durch das Waldstraßenviertel mit seinen sanierten Gründerzeithäusern. Sie gehen zum Stadion, vor dem die Fahnen der beiden Länder we- hen, und plaudern dem strömenden Regen zum Trotz munter miteinander. Und egal, wie das Spiel an diesem Abend auch ausgehen mochte. Fest stand jedenfalls schon vor dem Anpfiff: Nach dem Abpfiff geht es gemeinsam zur After-Match-Meschugge-Party mit dem populären DJ Aviv Netter.

Frankfurt/Main

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