Man kann es natürlich auch mit Humor sehen. Genau das taten jedenfalls nicht wenige Besucher der Purimparty, die die Studierendeninitiative Studentim zusammen mit Vertretern der Synagoge Fraenkelufer, dem Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) sowie Base Berlin, einem Projekt von Hillel International, am Montagabend unter dem Motto »Shushanopolis – Farbrengen 2020« auf die Beine gestellt hatte.
So nahm eine Besucherin die wegen der Coronaviruskrise bedingten Hamsterkäufe in den Supermärkten hierzulande auf die Schippe, indem sie mit reichlich Klopapier bewaffnet zur Feier erschien. Andere wiederum kamen im OP-Kittel samt Mundschutz, der sie aber offensichtlich wenig daran hindern sollte, genug zu trinken, bis sie Mordechai und Haman nicht mehr unterscheiden konnten.
»Selbstverständlich haben auch wir uns vorher Gedanken darüber gemacht, ob es überhaupt sinnvoll ist, angesichts von Corona ein solches Event stattfinden zu lassen«, berichtet Joel Kohen. »Aber wenn man alle Hygienevorschriften einhält, sollte es doch eigentlich kein Problem sein, trotzdem eine gute Zeit zu haben«, meint das Studentim-Vorstandsmitglied.
Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig der Zusammenhalt ist.
Genau diese hatten Kohen und rund 30 andere junge Jüdinnen und Juden bereits am Tag zuvor bei Base Berlin. Dort fand nämlich ein gemeinsames Hamantaschen-Backen statt. »Mit so vielen Leuten hatten wir wirklich nicht gerechnet«, freut sich Rebecca Blady von Base Berlin. Aber auch beim Teigkneten und -formen wurde strikter als vielleicht sonst auf Sauberkeit und Hygiene geachtet. »Ich habe ganz persönlich jeden gefragt und kontrolliert, ob er sich auch wirklich die Hände gewaschen hat, bevor irgendetwas angefasst wurde.«
Das Resultat des vergnügten Nachmittags: Mehr als 450 leckere Hamantaschen, die auf der »Shushanopolis – Farbrengen 2020«-Party dann bei den mehr als 200 Gästen reißenden Absatz fanden. »Es ist großartig, so viele alte Freunde und Bekannte hier wiederzusehen«, freut sich Benjamin Fischer, Referent bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) und Gründungsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), deren Aktivisten ebenfalls zahlreich auf der Party erschienen waren. »Ich glaube, es ist wichtig, auch in diesen schwierigen Zeiten ein Stück Lebensfreude zu bewahren und zu zeigen«, findet Fischer.
DRAHTSEILAKT Das aber sollte für die Synagogen in Berlin zum Drahtseilakt werden. Kann man Purim feiern wie immer? Oder ist es vielleicht nicht doch besser, Veranstaltungen abzusagen, um die Teilnehmer an den Megilla-Lesungen oder Purimspielen nicht unnötigen Gefahren auszusetzen?
»Bis jetzt läuft alles nach Plan«, betont Rabbiner Jonah Sievers von der Synagoge Pestalozzistraße noch am Montagnachmittag. »Sollte sich die Situation aber schlagartig ändern oder die Gesundheitsbehörden neue Empfehlungen aussprechen, werden wir uns selbstverständlich entsprechend verhalten.«
Weil in der Synagoge Joachimstaler Straße die Purimfeier für Kinder vorsichtshalber gestrichen wurde, rechnet die sefardisch-orthodoxe Gemeinde mit einem vollen Haus.
Und Kantor Isidoro Abramowicz, Künstlerischer Leiter der Synagoge Pestalozzistraße, ergänzt: »Wir haben mit etwa 20 Kindern ein neues Purimspiel geprobt, das moderne Themen wie Menschenrechte oder die Gleichberechtigung der Frau aufgreift – das soll auf jeden Fall stattfinden.« Falls es krisenbedingt dennoch zu einer Absage in letzter Sekunde kommen sollte, will man das Stück zu einem späteren Zeitpunkt aufführen. »Dafür ist uns die Arbeit mit den Kindern zu wichtig gewesen, als dass wir es einfach ausfallen lassen.«
ABSAGE Und weil in der Synagoge Joachimstaler Straße die Purimfeier für Kinder vorsichtshalber gestrichen wurde, rechnet die sefardisch-orthodoxe Gemeinde in der Passauer Straße mit einem vollen Haus. »Fast jede Minute klingelt mein Handy deswegen«, berichtet Rabbiner Reuven Yaacobov. »Hoffentlich reichen unsere Kapazitäten. Natürlich raten auch wir zu Schutzmaßnahmen wie Händedesinfektion.«
Bei Chabad Berlin wollte man dem Virus ebenfalls durch Lebensfreude trotzen. Sowohl der Purim-Maskenball am Montag als auch die an die Kinder gerichtete »Purim-Wunderland-Feier« fanden statt.
Gleiches galt auch für die Veranstaltungen der Synagoge Fraenkelufer. Aber auch hier wurden in den Einladungen klare Handlungsempfehlungen ausgesprochen: »Bitte wascht euch gleich die Hände, wenn ihr in der Synagoge ankommt. Reduziert Umarmungen und Händeschütteln auf ein Minimum, niest wie empfohlen nur in die Armbeuge – und bleibt vor allem zu Hause, wenn ihr oder eure Kids sich krank fühlen.«
Überall wurden die Hygienemaßnahmen verstärkt – ob beim Backen oder Purimspiel.
In der Synagoge Rykestraße dagegen hat man eine Kompromisslösung gefunden. »Unsere Purimfeier für Kinder werden wir wohl absagen müssen«, meinte Rabbiner Boris Ronis am Montag. »Die Megilla-Lesung findet dagegen wie gewohnt statt.«
Für ihn gibt es zwischen den Gründen dafür, warum Purim überhaupt gefeiert wird, und der aktuellen Coronaviruskrise sogar eine gewisse Verbindung. »Als die Kinder Israels im damaligen Perserreich dem Tod in die Augen schauten, haben sie fest zusammengehalten und konnten deshalb der Vernichtung entgehen«, sagt Rabbiner Ronis. »Und jetzt verbünden sich weltweit die Menschen, um den Gefahren durch das Virus zu begegnen. Einmal mehr zeigt sich, wie wichtig unser Zusammenhalt dabei ist.« Und der gilt wohl nicht nur zu Purim.