Vorsichtig nimmt Avi Steinitz die geschmeidige Masse in seine starken Hände und beginnt sie zu formen. »Wie Klopse soll das werden.« Der Starkoch aus Israel gibt kurze klare Anweisungen. Geschickt knetet er aus den angemachten Zutaten oval-längliche Bällchen. Um ihn herum stehen fünf Männer und versuchen, es ihm nachzumachen. Etwas zögerlicher, etwas langsamer, aber bald fast ebenso effektiv. Gefilte Fisch ist eines der zahlreichen Gerichte, die an diesem Vormittag in der Küche der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf auf dem Kochplan stehen. Hier findet zurzeit ein besonderes Ausbildungsprojekt statt. »Koscheres Kochen«, eine Zusatzqualifikation für nichtjüdisches Fachpersonal.
Seinen imposanten Körperumfang vergessend, flitzt Avi Steinitz durch die enge Gemeindeküche. Er, der in Israel in einem großen Kongresszentrum kocht und ein anerkannter Ausbilder ist, hat auch hier alles im Griff. Parallel hergestellte Gerichte, Zeitabläufe, Erklärungen in einem Sprachenmix aus Englisch und Deutsch. Man merkt ihm den Profi an. Ab und an schaut er kurz in seine Zutatenliste mit den zahlreichen Gerichten, die er auf Hebräisch auf einen kleinen Zettel geschrieben hat.
»Gestern habe ich gezeigt, wie man asiatische Gerichte koscher herstellt«, erklärt der Küchenmeister. Die exotischen Gerichte haben die Kursteilnehmer begeistert. »Mir hat vor allem der Lachs mit Teriyaki-Sauce geschmeckt«, erinnert sich der 19-jährige Thomas Peseke. Heute stehen typische jüdische Speisen auf dem Plan. »Oriental Jewish Food«, kündigt Avi, wie er von allen genannt wird, an. Die Kaschrutvorschriften vermittelt er beim Kochen.
Spektrum An dem Kurs nehmen zwei Ausbilder sowie drei Auszubildende der Düsseldorfer Jugendberufshilfe (JBH) teil. Die JBH ist eine kommunale Einrichtung, die Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen eine überbetriebliche Ausbildung ermöglicht. Geschäftsführer Peter Waldbröl hofft, durch den Qualifizierungslehrgang die Arbeitsmarktchancen der Azubis zu verbessern. »Es gibt in Düsseldorf viele internationale Besucher sowie eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands, da wäre es für einige Hotels doch von Vorteil, wenn ein Koch koscher kochen kann.«
André Krall notiert Zutaten, Mengenangaben, Abläufe, Temperaturen. Er ist einer der Ausbilder der JBH. Am Abend zuvor hat er am Computer das Wichtigste des Vortages bereits zusammengefasst. »Manche hebräische Namen habe ich noch mal gegoogelt, um sie richtig zu schreiben.« So entsteht eine Rezeptsammlung, die er für spätere Kurse weiterverwenden möchte. Denn sollte sich das derzeitige Pilotprojekt als erfolgreich erweisen, möchte Krall einen Ausbildungsplan für weitere Kurse der JBH erarbeiten.
»Wir wussten, dass Juden anders essen, aber wie koscheres Essen zubereitet wird, worauf man achten muss, da haben wir sehr viel Neues erfahren«, meint Karlo Rosenstein, der zweite Ausbilder. Doch wenn man sich an die Richtlinien halten und auf die Produkte achten würde, sei es gar nicht so schwierig. »Allerdings, wenn man so etwas anfängt, sollte man es ernst nehmen. Dann muss man auch dahinter stehen«, sagt er noch, bevor der Kochausbilder ihn wieder zum Abschmecken ruft. Karlo Rosenstein zückt seinen Löffel, den er in die obere Tasche seiner Kochjacke gesteckt hat. »Genug Salz im Kneidlach-Teig!« Jetzt sind sie sich einig.
Gewinn Die Idee zu einem solchen Projekt hatte Wilfried Johnen, der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. Er schätzt die Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Jugendberufshilfe. Ihre Auszubildenden kümmern sich seit Jahren um die Grünanlagen des alten Friedhofs sowie des Nelly-Sachs-Elternheimes. Den Qualifizierungslehrgang bezeichnet der Landesvorsitzende als »Win-Win-Situation«. Bislang gäbe es in Düsseldorf einige Hotels, die jüdische Veranstaltungen durchführen. »Doch das Essen lassen sie sich von koscheren Cateringfirmen anliefern, manchmal sogar aus Antwerpen oder Straßburg.« Johnen hofft, dass sich diese Situation künftig vereinfachen lässt und mehr Hotels koschere Speisen anbieten können. Zudem sei eine solche Ausbildungserweiterung ein zusätzlicher Beitrag zur Normalisierung des jüdischen Lebens in Düsseldorf.
Das Projekt wird gemeinsam vom jüdischen Landesverband, verschiedenen gesellschaftlichen Stiftungen sowie der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland finanziert. »Wir hoffen darauf, dass auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) den Kurs anerkennt«, wünscht sich Wilfried Johnen. Das würde den Wert der Zusatzqualifikation erhöhen.
Basiswissen Fest steht, dass am Ende des vierwöchigen Kurses ein Zertifikat der Orthodoxen Rabbinerkonferenz steht. Auch theoretisches Wissen wird hierfür abgefragt. So begann der Kurs mit Basisinformationen zum koscheren Kochen. Der Düsseldorfer Gemeinderabbiner Julian-Chaim Soussan machte die Teilnehmer mit den Speisegesetzen vertraut und vermittelte ihnen Grundkenntnisse zu den jüdischen Traditionen. Am Ende der vier Ausbildungswochen wird er die Prüfungen abnehmen.
Ende April fliegen die Kursteilnehmer nach Tel Aviv, um Kultur und Religion vor Ort kennenzulernen. »Dass wir da hinfahren dürfen, ist etwas Besonderes«, freut sich der 19-jährige Kevin Asche. Die Kursteilnehmer werden in einem traditionellen koscheren Restaurant, in einer Bäckerei sowie in einer Einrichtung, in der behinderte Jugendliche zu Köchen ausgebildet werden, arbeiten. »Koscheres Kochen ist hier in Deutschland etwas Besonderes«, so Wilfried Johnen. »In Israel können die sie es als Normalität erleben.« Doch zuvor heißt es vor Ort in Düsseldorf das Kaschern kennenlernen. Ein wichtiger Bestandteil des Kurses ist schließlich das Kochen in einer nichtkoscheren Küche, weil das ja in Hotels die Regel sein wird.
Jetzt aber steht erst einmal das Probeessen an. Avi Steinitz und seine Kursteilnehmer stellen die ersten Schüsseln und Platten bereit – mit Kuggeln, den süßlichen, im Ofen gebackenen Nudeln, mit gefilte Fisch und Roter Bete. Unterdessen werden im Ofen noch die Challot goldgelb gebacken, und auf dem Herd köchelt die Hühnersuppe. Später werden Vertreter des Landesverbandes, der Gemeinde, der IHK sowie der JBH kommen und von einem bunt gemischten Mittagsbuffet kosten dürfen.