München

Blumen für die Befreier

Mit einer eindrucksvollen Feier vor dem Denkmal von Alexander Shimanovskiy auf dem Neuen Israelitischen Friedhof gedachte die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern am 9. Mai der jüdischen Soldaten, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihr Leben lassen mussten.

An der Zeremonie nahmen auch jüdische Veteranen teil, die in der Roten Armee gegen die Nazis gekämpft hatten und nach dem Zerfall der Sowjetunion in Bayern eine neue Heimat fanden. »Diese Menschen und ihre Erinnerungen sind ein fester Bestandteil der Gemeinde geworden«, sagte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch in ihrer Gedenkrede.

trauer Mit dem 9. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus sind den Worten der IKG-Präsidentin zufolge »unendliche Trauer und unendliche Freude eng miteinander verbunden«. Sie erinnerte in diesem Zusammenhang an den besonders hohen Blutzoll, den die Sowjetunion leisten musste. »Kein Land«, sagte Knobloch, »hat so viele Tote unter Zivilisten und Soldaten zu beklagen wie die Sowjetunion.«

»Allein schon die Zahl ist unvorstellbar«, so Knobloch weiter. »27 Millionen Männer, Frauen und Kinder – jeder brutal aus seinem Leben, aus Hoffnungen, Lebensentwürfen, vor allem aber den Armen und Augen, nicht aber den Herzen der Liebsten gerissen. Kaum eine Familie blieb verschont. Diese Erinnerungen haben Sie, die Veteranen und Ihre Familien, haben alle Zugewanderten nach München mitgebracht. Sie haben unseren Blick maßgeblich erweitert.«

Das markante Denkmal von Alexander Shimanovskiy ist nach Überzeugung von Charlotte Knobloch nicht nur ein geeigneter Ort, um Trauer und Gedenken würdig begehen zu können. »An diesem Ort«, betonte sie, »wächst auch eine gemeinsame Erinnerungstradition und damit ein Stück Heimat. Gemeinsam blicken wir durch die schmerzliche Lücke, die der Tod gerissen hat, richten unseren Blick aber auch auf unsere Gegenwart und in unsere Zukunft. Die Erinnerung führt uns zu der Verantwortung, die wir als Demokraten für unser freiheitliches Land und die Würde des Menschen tragen.«

Vertrauensbeweis Besonders bemerkenswert ist für die IKG-Präsidentin, dass jüdische Veteranen des Zweiten Weltkriegs in Deutschland, dem Land des einstigen Feindes, eine Heimat gefunden haben. »Das ist ein einzigartiger, großer Vertrauensbeweis für die Bundesrepublik«, hob Knobloch hervor. Und dass sie ihre neue Heimat in der einstigen »Hauptstadt der Bewegung« gefunden haben, sei nicht weniger als eine Auszeichnung für München.

Erinnerung und Hoffnung, Sorgen und Nöte, Freude und Leid: Ariel Kligman, Integrationsbeauftragter der IKG, ist mit den jüdischen Migranten besonders eng verbunden und erinnerte sich in seiner Rede auf dem Friedhof an seine eigene Kindheit in der Ukraine. »Über den Krieg«, sagte er, »hat man kaum bei uns zu Hause gesprochen. Aber jedes Jahr, am 9. Mai, sind wir alle zusammen zum Denkmal des unbekannten Soldaten in Kiew gegangen und haben Blumen niedergelegt.«

Die Erinnerung an all jene, die ihr Leben geopfert haben, werde ewig in seinem Herzen und in den Herzen der zukünftigen Generationen leben, so Kligman weiter. Gerichtet an die erschienenen Veteranen, sagte er: »Die Veteranen sind für uns alle ein Beispiel für Mut und Menschlichkeit.«

Massengräber Die Bedeutung des Denkmals und des damit geschaffenen Erinnerungsortes hob bei der Feierstunde auf dem Friedhof auch Mark Livshits hervor, der Vorsitzende des Veteranenrats, der sich in diesem Zusammenhang ganz besonders für das Engagement von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch beim Gedenken an die Soldaten bedankte. Denn viele von ihnen hätten überhaupt kein Grab oder seien anonym in einem der vielen Massengräber zwischen Moskau und Berlin bestattet worden.

Ähnlich wie Charlotte Knobloch, die in ihrer Rede auch den wachsenden Antisemitismus in der Gesellschaft thematisiert hatte, äußerte sich der Vorsitzende des Veteranenrats. »Mich macht es sehr betroffen und traurig«, erklärte er, »dass 71 Jahre nach der Befreiung von der braunen Pest in vielen Ländern Osteuropas solche Denkmäler für gefallene sowjetische Soldaten geschändet und abgerissen werden. So wie in Polen, wo die Regierung 500 Denkmäler demontieren möchte.« Unwissenheit über den Krieg, so Livshits, stärke aber rechte Tendenzen. Dagegen aufzustehen, sei man den unzähligen Opfern schuldig.

Auch Rabbiner Avigdor Bergauz kritisierte bei der Gedenkfeier das mangelnde Wissen der dritten Nachkriegsgeneration, die oft nicht einmal fundamentale Daten kenne. »Es geht aber nicht um Zahlen, sondern um Menschen und um Helden, die ihr Leben für unsere Freiheit geopfert haben. Wenn man die Vergangenheit kennt, erkennt man den Sinn der Gegenwart und findet den Weg in die Zukunft.«

Erinnerungskultur Nellya Hohlovkina, Vorsitzende des Vereins »Phönix aus der Asche«, betonte ebenfalls die Wichtigkeit der Erinnerungskultur. »Der Krieg ist schon lange vorbei, vor 71 Jahren zu Ende gegangen. Aber nein, wir haben nicht vergessen, dass Millionen ihr Leben hergaben, damit wir weiterleben können.«

Welchen Stellenwert die inzwischen zur Tradition gewordene Gedenkstunde hat, war auch aus der Teilnehmerliste ersichtlich. Die Generalkonsuln aus den ehemaligen Sowjetrepubliken – Ukraine, Russische Föderation und Weißrussland – waren persönlich erschienen.

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