Eine Sensationszahl ist das nicht gerade», sagt Josef Schuster lächelnd, als er die Bilanz zu 300 Jahren Jüdische Gemeinde in Karlsruhe zieht: 1717 erhielt der erste Jude die sogenannte Schutzbürger-Annahme in der Stadt – die erst zwei Jahre zuvor gegründet worden war. Und das sei dann doch ein Alleinstellungsmerkmal, so Schuster bei dem Jubiläums-Festakt, den die Gemeinde gemeinsam mit der Stadt ausrichtete. Das 1971 eingeweihte Gotteshaus – damals der erste Synagogenneubau Badens – ist festlich geschmückt, die Stimmung der Besucher freudig. Knapp 900 Mitglieder zählt die Gemeinde heute. Sie ist damit die größte des Landesteils.
«Viele von uns kommen aus anderen Ländern», sagt ihr Vorsitzender, Petr Kupershmidt. «Aber wir leben hier seit Jahren und Jahrzehnten und lieben diese Stadt.» Kurz und prägnant zeichnet der Vorsitzende die Geschichte der Gemeinde nach. Man fühle sich sicher und gut integriert; jüdisches Leben gehöre zu dieser Stadt. Daran lässt auch Staatsekretärin Gisela Splett (Grüne) keinen Zweifel. Sie überbringt die Glückwünsche des Landes.
schattenseiten Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) erinnert an große Rabbiner wie Nathanael Weil. «Bis heute wird er verehrt. Juden aus der ganzen Welt kommen an sein Grab.» Das Stadtoberhaupt erwähnt in diesem Zusammenhang auch Politiker wie Ludwig Marum und Ludwig Haas, zwei badische Landtagsabgeordnete in der Weimarer Republik.
Nach der Machtübernahme der Nazis seien Diskriminierung, Verhaftungen und Mord gefolgt – mit klaren Worten beschreibt Mentrup diese dunkle Zeit. «Es sah nicht mehr so aus, als ob jemals im Land der Täter wieder Juden leben würden.» Doch im Dezember 1945 gründete sich wieder eine jüdische Gemeinde. «Heute weist sie ein vielfältiges Leben auf – das macht uns stolz», so das Stadtoberhaupt.
«300 Jahre in die deutsche, zumal die jüdische Geschichte zurückzublicken, das bedeutet stets, Licht- und Schattenseiten zu betrachten», betont Zentralratspräsident Schuster bei dem Festakt, den der Musiker Roman Kupershmidt und sein Orchester bestreiten.
Epochen Schuster zitiert aus historischen Quellen. Aus der Zeitschrift «Der Israelit» zum Beispiel, in der 1892 der Oberrat der Israeliten die feierliche Begehung des Regierungsjubelfestes des Großherzogs anordnete. Die Synagogen sollen festlich dekoriert, die Torarollen mit dem größten Schmuck versehen sein, hieß es. Dann liest Schuster aus einem Schreiben des damaligen Oberbürgermeisters von 1940 an den Polizeipräsidenten vor, demzufolge Juden der Zugang zum Stadtgarten und öffentlichen Bädern verboten wurde.
«Dieser Wechsel vom Ringen um Anerkennung über das Gefühl, gleichwertige Bürger zu sein, bis zur totalen Ausgrenzung, Entrechtung und Ermordung in der NS-Zeit ist so typisch für die jüdisch-deutsche Geschichte und eben auch für die Geschichte der Juden in Karlsruhe», sagt Schuster.
Die Geschichte führe dabei eindrücklich vor Augen, dass das Aufblühen einer jüdischen Gemeinde stets abhängig war vom Wohlwollen der Herrschenden und zumindest der Toleranz der Bevölkerung. «Die Geschichte zeigt uns zugleich ebenso eindrücklich, wie fruchtbringend diese Epochen waren, in denen das Zusammenleben gelungen ist.» Nun blicke man auf gute Jahrzehnte zurück, so Schuster weiter.
integration Er verweist dabei vor allem auf die erfolgreiche Integration der Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion, eine Kraftanstrengung, die sich gelohnt habe. Derzeit stehe man vor der Aufgabe, rund eine Million Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren. Sie müssten nicht nur die deutsche Sprache lernen, sondern mit der Kultur und den Werten vertraut gemacht werden.
«Sie müssen lernen, dass Hitler hier nicht als Held verehrt wird und Israel nicht der Todfeind ist, wie ihnen das in vielen ihrer Heimatländer vermittelt wurde», so Schuster in seiner Rede, in der er auch vor Rechtspopulisten warnt. Gerade in Baden-Württemberg erlebe man, wie schwierig der Umgang mit der AfD im Landtag sei. Er appelliert an alle Demokraten, an die übrigen Parteien, «an unserem Wertekodex nicht zu rütteln». Gerade der Schutz von Minderheiten und der Respekt für die verschiedenen Religionen in diesem Land seien für den inneren Frieden von immenser Bedeutung.
«Wenn künftige Generationen in den Annalen der Stadt den Bericht über den heutigen Festakt lesen, dann werden sie sagen: Es war zwar kein Regierungsjubelfest, aber es war offenbar eine gute Zeit – es war eine Epoche, in der das Zusammenleben gut gelang», erklärt Schuster am Ende. Die Zuhörer applaudieren. Und dann wird gefeiert – freudig und mit viel Musik.