Die Zahl der Interessierten war so groß, dass ein neuer Saal gefunden werden musste: Mehrere hundert Zuhörer, deutlich mehr als erwartet, hatten sich für das Gespräch »Juden in Deutschland und Europa – Sicher?« angemeldet, zu dem das Jüdische Museum Frankfurt am Dienstagabend eingeladen hatte. Aus Platzgründen musste man in einen Vortragssaal im Gebäude des Frankfurter Energieversorgers Mainova umziehen, dort, wo sich auch das »Museum Judengasse« befindet.
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) war angereist, um mit Salomon Korn, dem Vorsitzenden der hiesigen Gemeinde, über die aktuelle Situation der in Deutschland und Europa lebenden Juden und deren mögliche Gefährdung durch islamistischen Terror zu sprechen. Moderiert wurde dieses intensive, aber niemals aufgeregte Gespräch von der Journalistin Esther Schapira.
Islamisten De Maizière und Korn waren sich in der Beurteilung der Lage nicht einig. Während Korn sagte, große Teile der hier eintreffenden Flüchtlinge seien durch die Schule und die arabischen Medien antisemitisch so indoktriniert wie vor 80 Jahren die Deutschen durch die NS-Propaganda, sagte de Maizière, seiner Einschätzung nach richte sich die Aggression der Islamisten allgemein gegen den Westen oder gegen Nationen, die sich militärisch an der Bekämpfung des »Islamischen Staates« beteiligten, und weniger speziell gegen Juden.
»Die meisten Opfer des islamistischen Terrors sind Muslime«, erklärte der Innenminister. Außerdem sehe er ein weit größeres Konfliktpotenzial etwa zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Afghanen und Syrern. Auch das Erstarken radikaler islamistischer Strömungen wie des Wahhabismus und Salafismus bereite ihm aus Gründen der Sicherheit »viel mehr Sorgen«.
Aber: »Es gibt keinen einzigen sozialen, historischen, ethnischen oder ethischen Grund, Straftaten zu begehen«, so de Maizière mit Nachdruck. Das sei das Erste, was man allen hier ankommenden Flüchtlingen vermitteln müsse. Auch räumte der Innenminister Versäumnisse ein: »Wir haben die Bedeutung der Religion viel zu sehr unterschätzt, das war ein fataler Fehler.«
Salomon Korn erklärte ebenfalls, dass zumindest im Augenblick der Alltag der jüdischen Gemeinden trotz einer möglichen neuen antisemitischen Aggression durch die Zuwanderung kaum verändert oder beeinflusst sei: »Hier in Frankfurt empfinden wir keine unmittelbare Bedrohung. Unsere Institutionen sind gut geschützt, wir stehen in engem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden.«
Diese »besorgte, aber keineswegs panische Haltung« beeindruckte den Innenminister, und er fügte hinzu, dass es einen »testosterongeschwängerten jungen Moslem sowieso nicht beeindruckt, wenn man ihm gesteht: ›Ich habe Angst vor euch!‹« Im Gegenteil: »Wir müssen stark sein!«, so der wiederholte Appell de Maizières.
Ein Christ oder Jude, der seine Religion mit Überzeugung repräsentiere, würde von einem Muslim eher respektiert als ein »wertebeliebiger Mensch«. Für ihn gewinne daher auch der geschmähte Begriff der »Leitkultur« neue Bedeutung. Zu dieser Leitkultur gehöre auch die Bewältigung der von Auschwitz geprägten Vergangenheit sowie das Bekenntnis zu Israel, sagte der CDU-Politiker. »Ich bin halt ein Optimist. Freiheit ist stark.«
pessimismus Diese Zuversicht konnte Korn nicht teilen. Auch wenn er aufgrund seiner Familiengeschichte wisse, was es bedeute, Flüchtling zu sein, dürfe man doch nicht vergessen, dass die Menschen, die momentan zu Tausenden hier einträfen, einer völlig anderen Kultur entstammten, in der zudem das Individuum in seiner Lebensführung durch den Islam nahezu vollständig definiert sei.
Die Stärke, Schwäche zeigen, Zweifel äußern zu können, die Anerkennung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, diese Grundvoraussetzungen eines mündigen Bürgers, müssten die meisten von ihnen erst erlernen. »Und das dauert mehrere Generationen.«
Mehr Angst bereite ihm außerdem der Gedanke, dass die »Muslime als Vorwand« dienen könnten, rechtes Gedankengut hierzulande wieder salonfähig zu machen. Auf diese neuen rechtsradikalen Untertöne reagierten Juden natürlich besonders hellhörig.
Insofern werde er, auch wenn er davon überzeugt sei, dass man »als Jude in Frankfurt verhältnismäßig sicher leben« könne, die DP, die »displaced person«, in sich wohl nie ganz loswerden. Auch für ihn bleibe es daher beruhigend zu wissen, dass es Israel als den einen sicheren Hafen auf der Welt gibt. »Aber hoffentlich werden wir diesen Hafen niemals brauchen!«