Der Titel mutet aktuell an wie nie zuvor. »Neue Hoffnung schöpfen. 50 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland – Israel – 70 Jahre Neugründung der Jüdischen Gemeinde in Stuttgart« lautet das Motto der »Jüdischen Kulturwochen Stuttgart 2015«. Als sie Anfang der Woche im Stuttgarter Rathaus eröffnet wurden, betonte Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), angesichts der Flüchtlingsströme Richtung Europa: »Anfang des Jahres legten wir es fest, da konnten wir nicht ahnen, wie uns die Ereignisse einholen würden.« Sie blickte zurück in die 50er-Jahre Stuttgarts: »Wie groß muss der Mut und die Zuversicht dieser Menschen gewesen sein, die trotz des Schrecklichen, das sie erlebt hatten, dennoch hier die jüdische Gemeinde wieder aufbauten.«
Dialog Das unterstrich auch Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer. Sie erinnerte an Israels ersten Ministerpräsident David Ben Gurion und Deutschlands ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer, die am 12. Mai 1965 vereinbarten, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Damit hätten sie auch den christlich-jüdischen Dialog vorangebracht.
Fezer lobte die IRGW Stuttgart. »Auch sie haben vor einigen Jahren einen großen Zustrom an Menschen aus Russland verkraften müssen, eine Herausforderung, die sie gemeistert haben, sie sind ein gutes Beispiel für uns.« Dass in Stuttgart nun ein Rat der Religionen gegründet wurde, an dem Vertreter des Christentums, Judentums und Islam an einem Tisch sitzen, sei ein wichtiges Zeichen.
Marion von Wartenberg, Staatssekretärin im Ministerium für Kultur, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg, warb für den Schulterschluss der jüdischen und nichtjüdischen Gesellschaft. »Jede Art von Fremdenfeindlichkeit ist ein direkter Angriff auf die Demokratie – und das dürfen wir nicht zulassen.« Hier spiele die Bildungspolitik eine wichtige Rolle.
Schon in der Schule müssten Möglichkeiten zu interkulturellen Kontakten und Projekten geschaffen werden, um die Angst vor dem Fremden zu nehmen, Vorurteile zu verhindern und abzubauen. »Verantwortung zu übernehmen – das ist schließlich der letzte und endgültige Beweis für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie«, zitierte sie Paul Spiegel, den ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden.
Dessen Nachfolger, Josef Schuster, ehrte denn auch in seinem Grußwort einen Menschen, der eine solche Verantwortung mit »gefestigtem Glauben, großer Toleranz und Verständnis für die Kulturen« gelebt, den Dialog der Religionen und die Versöhnung vorangetrieben habe: »Erlauben Sie mir den Exkurs, lassen Sie uns Meinhard Mordechai Tennés gedenken.« Tenné, unter anderem Gründungsmitglied der Stiftung Stuttgarter Lehrhaus, Ehrenmitglied der Christlich-Islamischen Gesellschaft Stuttgart und des Forums Jüdischer Bildung und Kultur Stuttgarts, verstarb Ende September in der Landeshauptstadt. Dass dort eine kleine Gruppe vor 70 Jahren die Jüdische Gemeinde bildete, sei Wunder und Vorbild, so Schuster.
zuversicht Indes hinterfragte er auch, wie viel Zuversicht heute jüdisches Leben in Deutschland und Europa brauche – angesichts der Anschläge auf die Redaktion der Zeitschrift »Charlie Hebdo« und den Überfall auf einen jüdischen Supermarkt in Paris. »Das ist zehn Monate her und mittlerweile überlagert durch die Menschen auf der Flucht.«
Auch jüdische Gemeinden hätten hier zahlreiche Projekte initiiert. Indes wolle er nicht verhehlen, dass man, trotz aller Hilfsbereitschaft für Menschen aus Kriegsgebieten, den Zustrom mit gemischten Gefühlen sehe. »Tausende kommen aus Ländern, die Israel gegenüber feindlich gesinnt sind«, erklärte Schuster.
Es darf keine Toleranz gegenüber Antisemitismus geben, ebenso gehört die Solidarität mit Israel zum deutschen Wertekanon.« Wahrzunehmen sei, wie diese bröckele und Rechtspopulismus hoffähig werde. Umso wichtiger wiege daher Kultur. Veranstaltungen wie die Jüdischen Kulturwochen könnten die Kraft des Zusammenhalts entfachen, um gegen jene, die die Demokratie zerstören wollten, anzugehen.
»Stuttgart stehen nun zwei Wochen prall gefüllt mit jüdischer Kultur bevor, davon können sich andere Städte Deutschlands, auch einige größere, eine Scheibe abschneiden«, betonte der Zentralratspräsident.
Partner Bei den zwölften Jüdischen Kulturwochen sind zwischen 1. und 15. November über 30 Veranstaltungen, darunter Konzerte, Lesungen, Theaterstücke, Vorträge, Gespräche und Ausstellungen, zu erleben. Umgesetzt werden sie mit 21 Partnern, die einen eigenen Beitrag konzipierten. Das Spektrum des Programms, kuratiert vom früheren Landesrabbiner Joel Berger und seiner Frau Noemi Berger, ist breit.
Es reicht von Stücken wie Mythos Czernowitz über die Kulturmetropole in der Ukraine oder der Präsentation jüdischen Humors und geistreicher Anekdoten über Stadtspaziergänge bis zum Dokumentarfilm My German Children über eine christlich-jüdische Familie und dem Symposium »Ausgestoßen und doch zurückgekommen. Emigration und Remigration«.
Zum Auftakt der Kulturwochen veranstaltete die WIZO-Gruppe Württemberg traditionell ihren Benefiz-Basar – bereits zum 32. Mal. Der Erlös soll an das Theodor-Heuss-Familientherapiezentrum in Herzlya gehen. Vergangenes Jahr finanzierte die WIZO Deutschland den Bau eines bombensicheren Bunkers in der Yad-Vashem-Kindertagesstätte in Beer Sheva. »Wir helfen bedürftigen Menschen, unabhängig von Herkunft, Religion, Hautfarbe«, so Angelika Jung-Sattinger, Assistentin des Landesrabbinats und eine der geschäftsführenden Vorstände von WIZO Stuttgart.
Angebote Der Basar, so Vorstandskollegin Bertilla Jontofsohn, werde stets gut besucht. Das Angebot käme gut an. Und das war auch in diesem Jahr wieder groß, es reichte von Bier, Wein, Früchten und Süßem aus Israel über ökologische Kosmetik, Schmuck bis hin zu Büchern und Kunst. Auch eine Tombola sowie Führungen durch die Synagoge standen auf dem Programm.
»Vieles wurde gespendet«, erzählt Jung-Sattinger. »Mittagessen, Kaffee und Kuchen sind von den WIZO-Damen.« Die Women’s International Zionist Organisation sei ein Projekt fürs Leben, so Jontofsohn, die seit 1982 dabei ist. Und Jung-Sattinger ergänzte: »Schon unsere Großmütter und Mütter haben geholfen, und wir entfachen das Feuer neu, reichen die Fackeln an unsere Töchter und Schwiegertöchter weiter – meine ist auch hier.«