Diesen Anblick dürfte es wohl nicht alle Tage geben: Syrische und afghanische Kinder in grünen Mitzvah-Day-Shirts mit hebräischer Aufschrift toben durch die Gänge der Flüchtlingsnotunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf.
Während draußen im Innenhof bei strahlendem Spätherbstwetter einige junge Israelis und Araber – bemerkenswerterweise beiderlei Geschlechts – miteinander Fußball spielen, bieten Beter und Freunde der Synagoge Fraenkelufer (FdF) sowie des Joint Distribution Committee Berlin allerlei Aktivitäten für die Kleinsten an.
Angefangen vom Kinderschminken über gemeinsames Malen oder Schmuckarbeiten ist für alle etwas dabei. Das Angebot wird dankend angenommen: Offensichtlich gibt es kaum Berührungsängste vor den Helfern.
kommunikation Zwar müssen alle Teilnehmer mit Sprachbarrieren kämpfen, aber die zumeist arabischen Jugendlichen des Projekts »Schalom Rollberg« vom Neuköllner Förderverein Morus 14 tun ihr Bestes, um eine Kommunikation zu ermöglichen.
»Notfalls kann man ja immer noch mit Händen und Füßen reden«, meint Nina Peretz lachend. »Außerdem lässt sich beim Spielen, Basteln oder Malen auch wunderbar ohne Worte miteinander in Kontakt treten«, findet die Vorsitzende des Vereins Freunde des Fraenkelufers und eine der treibenden Kräfte hinter der Aktion in Wilmersdorf.
»Aktuell leben 960 Flüchtlinge in der Notunterkunft, 270 davon sind Kinder«, erklärt deren Leiter Thomas de Vachroi. »Bereits kommende Woche sollen es schon 1200 sein.« Mehrheitlich stammen sie aus Syrien, einem Staat, der sich offiziell seit 1948 im Kriegszustand mit Israel befindet und wo antisemitische Propaganda zum Alltag gehört. Doch von Feindseligkeit war in Wilmersdorf nichts zu spüren.
Lebenssituation »Ich bin überzeugt, dass ganz andere Probleme die Flüchtlinge beschäftigen«, betont Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. »Vor allem suchen sie erst einmal Schutz und ein Dach über dem Kopf«, sagte Botmann. »Wir als Juden wollen da auf jeden Fall mithelfen, ihre Lebenssituation hier ein wenig zu verbessern.«
Genau deshalb steht dieses Jahr das Thema »Flüchtlingshilfe« im Mittelpunkt des Mitzvah Day. Dieser ist zwar offiziell erst am 15. November, aber die Berliner haben schon mal eine Woche früher losgelegt. »Uns geht es dabei nicht nur um finanzielle Unterstützung – die natürlich auch erfolgt«, skizziert Botmann die Motive.
»Vor allem soll Zeit gespendet werden.« Denn wie man in der Notunterkunft hautnah miterleben kann, macht es einen deutlichen Unterschied, ob man Geld spendet oder persönliches Engagement vor Ort zeigt. »Ich glaube, dass trotz vieler Ängste, die gewiss ihre Berechtigung haben, auf diese Weise zahlreiche Barrieren im Kopf abgebaut werden können«, betont Daniel Botmann.
Offenheit Das gilt für beide Seiten. Für Fuad (Name von der Red. geändert), einen jungen Syrer, der vor sieben Monaten aus Damaskus geflohen ist und inzwischen bei Morus 14 aktiv wurde, ist der Kontakt mit Juden oder Israelis mittlerweile etwas völlig Normales geworden.
Sein Beispiel zeige, dass die Kinder »total offen und unbelastet von Politik und Vorurteilen« seien, ist Hannah Dannel, Kulturreferentin des Zentralrats und Initiatorin des Mitzvah Day, überzeugt. »Sie freuen sich einfach, der Routine in den ansonsten doch recht beengten Verhältnissen einer Notunterkunft einmal für einige Stunden entkommen zu können, und sind sehr zugänglich«, so ihre Erfahrung.
Blockflöten Im Innenhof probieren derweil Mädchen und Jungen ihre Blockflöten aus. Die Instrumente wurden gespendet und die Kinder spielen mit großem Elan Tonleitern rauf und runter. »Auch die Mütter lassen sich in die Aktivitäten gut mit einbinden«, beobachtet Avishag Weidner des Kinderklubs Bambinim Berlin.
»Nur einige Männer scheinen noch Berührungsängste zu haben und verhalten sich etwas distanziert.« Von jüdischer Seite sind auch einige Profis mit dabei, die bereits sehr viel Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit mitbringen. Eine von ihnen ist Linda White aus New York.
»Anfang der 90er-Jahre habe ich viel mit syrischen Juden zusammengearbeitet, die damals in die Vereinigten Staaten geflohen waren«, berichtet die Amerikanerin, die regelmäßig am Fraenkelufer betet.
perspektiven Der Mitzvah Day versteht sich als eine Art Initialzündung. »Uns sind die längerfristigen Perspektiven wichtig, die sich aus Aktionen wie dieser hier in Wilmersdorf ergeben«, erklärt Daniel Botmann. Auch die Freunde der Synagoge Fraenkelufer wollen am Ball bleiben. »Es darf nie nur einen Tag geben, in dem man Engagement zeigt«, ergänzt Nina Peretz. Weitere gemeinsame Aktionen mit Flüchtlingen sind bereits in Planung.