Meine Arbeit hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verändert. Seit 18 Jahren arbeite ich im Kindergarten der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf – das ist eine Generation. Jetzt haben wir schon Praktikantinnen, die als kleine Kinder in meiner ersten Gruppe waren. Bald kommt wieder eine, die sich gewünscht hat, bei mir ihr Berufspraktikum zu machen. Das finde ich schön.
Wir versuchen, den Kindern die Religion auf eine etwas modernere Art beizubringen. Wir erzählen ihnen nicht nur die Geschichten von Purim, Chanukka und Pessach, sondern wir möchten das eher spielerisch vermitteln. Auf diese Weise können die Kinder die Zusammenhänge besser verstehen, und es bleibt bei ihnen in den Köpfen.
Tagesmütter Als ich anfing im Kindergarten, gab es nur zwei Gruppen. Dann wurden es vier, mittlerweile haben wir sechs Gruppen mit jeweils 22 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren sowie noch zwei Tagesmüttergruppen für die Kinder unter drei Jahren. Wir sind richtig groß geworden!
Einen Umzug habe ich auch schon mitgemacht. Das Gebäude war früher dort, wo die Synagoge und das Gemeindezentrum sind. Jetzt sitzen wir in einem Neubau auf dem Schulgelände. So ist der Kontakt, wenn die Kinder dann später in die Schule gehen, wenigstens noch etwas vorhanden.
Abschiede empfinde ich als schwierig. Immer wieder muss ich Abschied nehmen, wenn die Kinder älter werden und in die Schule kommen, dann sind sie weg. Am Anfang war das sehr schwer für mich. Wir begleiten die Kinder drei Jahre, leben mit ihnen zusammen. Wenn sie den Kindergarten dann verlassen, ist es so, als ob ein Stückchen von uns weggeht. Besonders der letzte Tag, wenn wir unser Sommerfest feiern, alle Vorschulkinder auf der Bühne stehen und wir uns von ihnen offiziell verabschieden, ist immer sehr emotional und auch traurig.
An meiner Arbeit liebe ich vor allem den Umgang mit Kindern. Sie machen so eine Freude, sie sind herrlich! Mit offenen Augen, mit offenen Armen sind sie in der Welt. Das gibt mir Kraft. Ich liebe die Kinder, und ich fände es gut, wenn die Erwachsenen diese Offenheit von den Kindern lernen würden.
Struktur Mein Arbeitstag hat eine feste Struktur. Ich gehe jeden Morgen um kurz vor sieben Uhr aus dem Haus, fahre mit der U-Bahn zur Arbeit und fange dann um halb acht im Kindergarten an. Bis neun Uhr werden die Kinder gebracht. Dann beginnen wir mit unserem Tagesablauf. Wir setzen uns mit den Kindern auf den Teppich, machen ein kleines Gebet. Es folgen Frühstück, Spiele, der Stuhlkreis – passend zum Thema. Danach gibt es entweder ein Bastelangebot, Freispiel oder Sprachspiele. Einmal in der Woche haben wir Turnen, zweimal Musik.
Nach dem Mittagessen schlafen einige Kinder, danach ist wieder Freispiel, oder wir gehen mit den Kindern nach draußen. Der Kindergarten hat bis 17 Uhr geöffnet, ich arbeite bis 16 Uhr. Dann gehe ich nach Hause.
Ich selbst habe zwei Kinder: Mein Sohn ist 13 Jahre alt, meine Tochter 22. Als wir aus der Ukraine nach Deutschland kamen, war ich mit ihr im siebten Monat schwanger. Jetzt studiert sie in Iserlohn Business und Management und möchte demnächst ins Ausland gehen. So vergeht die Zeit. Dann steht also bald wieder ein Abschied an.
Richtige Freizeit habe ich fast nicht. Ich lese gern Bücher, höre Musik, aber leider habe ich kaum Zeit dafür. Die Arbeit, der Haushalt – und hinzu kommt, dass mein Sohn ein zeitaufwendiges Hobby hat: Er singt. Ich fahre oft mit ihm zum Gesangsunterricht oder zu Wettbewerben. Am Wochenende versuchen wir dann, gemeinsam etwas zu unternehmen – aber in letzter Zeit ist uns das eher selten gelungen.
Dass mein Sohn so gerne singt, hat er vielleicht von mir geerbt. Unsere Familie ist musikalisch. Mein Vater kann gut singen, und ich habe jahrelang Klavier gespielt. Schon im Kindergarten begeisterte sich mein Sohn für Musik und ging in einen Chor. Seit vier Jahren ist er nun in einem Jazz-Pop-Studio.
Mein Mann kommt selten nach Hause. Er ist Reisebusfahrer, fährt nach Spanien, Italien, Holland und bleibt dann mit der Reisegruppe dort, meistens für eine Woche oder zwei. Neben den Urlaubern fährt er oft auch Schulklassen, die Ausflüge und Klassenfahrten machen. Ich bin also viel allein in letzter Zeit.
anfang Als wir nach Deutschland kamen, war ich 25. Ich konnte kein Deutsch, nur Englisch – oh, war das eine schwierige Zeit! Ich kam hierher mit meinem Mann und seiner Mutter. Ein paar Monate später siedelten dann auch meine Eltern über. Seitdem wohnt fast meine ganze Familie hier in Düsseldorf. Nur mein Bruder lebt in Amerika.
Ursprünglich komme ich aus Odessa, einer Millionenstadt am Schwarzen Meer. Ich habe dort schon als Erzieherin in einem Kindergarten gearbeitet, sieben Jahre lang. Nebenbei studierte ich an einer Hochschule Pädagogik und Psychologie des Vorschulalters. Glücklicherweise wurde meine Ausbildung in Deutschland anerkannt. Aber das dauerte sehr lange, ich musste viele Unterlagen vorzeigen, bis ich hier arbeiten konnte.
Die Arbeit im Kindergarten in der Ukraine und hier – das war eine große Umstellung. Hier in Deutschland sind die Gruppen altersgemischt mit Kindern zwischen drei und sechs Jahren. In der Ukraine war es jeweils ein Jahrgang pro Gruppe. Die Erziehung in Deutschland ist anders, weniger schulisch. In der Ukraine ging es im Kindergarten zu wie in einer Schule – es gab Mathematik- und Spracheinheiten.
Hier in Deutschland bringen wir zwar den Kindern ganz viel bei, aber auf spielerische Art. Es geht freier zu. Und wir sind als Erzieherinnen mehr gefordert, uns selbst Gedanken zu machen, Informationen aus Büchern zu holen, Anregungen im Internet zu suchen. Man kann nicht nach einem vorgegebenen Programm arbeiten und Unterrichtsmuster umsetzen. Mein Lieblingsbereich im Kindergarten ist das Kreative. Ich bastele gern mit den Kindern und bringe mich auch musikalisch gerne ein. Einen wichtigen Stellenwert haben in unserer Arbeit die jüdischen Feste, aber wir behandeln natürlich auch andere Themenbereiche mit den Kindern, seien es die Jahreszeiten oder ein größeres Projekt wie Dinosaurier, das ich im letzten Jahr mit den Kindern erarbeitet habe. Das war total faszinierend!
Judentum Den religiösen Themen fühle ich mich sehr nah. Das liegt sicherlich daran, dass ich selbst Jüdin bin. Als ich nach Deutschland kam, hatte ich kaum einen Bezug dazu – in der Ukraine war Judentum ja verboten. Ich wusste nicht so viel, aber hier habe ich ganz viel gelernt. Und jetzt bringe ich es den Kindern bei.
Ich fühle mich wohl in Deutschland. Ich tue das, was ich möchte. Es geht mir wirklich gut. Düsseldorf finde ich toll, es ist eine wunderschöne Stadt. Besonders gefallen mir der Hafen und Kaiserswerth, der schöne Stadtteil direkt am Rhein. Ich kann nicht sagen, dass Düsseldorf mein zweites Zuhause ist – es ist mein Zuhause.
Aufgezeichnet von Annette Kanis