Heidelberg

Auf Entdeckungsreise

Ausrichtung: Rabbiner Janusz Pawelczyk-Kissin (r.) erklärt, was es bei einem runden Betraum so alles für Probleme gibt. Foto: Philipp Rothe

»Wenn jemand Lust auf eine Zeitreise hat, kann er gerne in unseren Gottesdienst kommen«, fordert Janusz Pawelczyk-Kissin die Gäste auf. Auf eine Zeitreise schickt der Rabbiner die Besucher zum Tag der offenen Tür am vergangenen Sonntag zwar nicht – dafür aber auf eine Entdeckungsreise, von den Traditionen des jüdischen Gottesdienstes bis hin zur Jugendarbeit der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg.

»Wir sind eine nach außen offene Gemeinde, die innen ihre Traditionen pflegt«, sagt Pawelczyk-Kissin. »Jeder kann einfach anklopfen und mehr über uns erfahren.« Anders, als viele glauben, sei die Synagoge weder geschlossen noch nur Juden vorbehalten. In den vergangenen Jahren hatte die Gemeinde gelegentlich einen Tag der offenen Tür veranstaltet. Im Jubiläumsjahr – 25 Jahre Heidelberger Synagoge – sei es »mal wieder an der Zeit gewesen«. Auch um ein »Zeichen gegen Antisemitismus« zu setzen. Mit dieser Veranstaltung will die Gemeinde zeigen, »was in einer Synagoge eigentlich so passiert«.

Spezialitäten Tröpfchenweise treffen die Besucher ein und verteilen sich auf das ganze Gemeindehaus, denn die rund 100 Gäste dürfen »sich frei bewegen und in jeden Raum reinschnuppern«. Den Computerraum hat die Gemeinde zu einem gemütlichen Café inklusive Buffet mit israelischen Spezialitäten umgestaltet. Im Raum nebenan können sich Besucher die Arbeiten des Lederworkshops anschauen, und in der Synagoge erklärt Rabbiner Pawelczyk-Kissin Besonderheiten der Architektur und des Gottesdienstes in Heidelberg.

Viele Besucher sind zum ersten Mal in der Stadt und in einer Synagoge.

Die Jüdische Kultusgemeinde bietet auch außerhalb der Gottesdienste Aktivitäten an. Zurzeit hat sie etwa 480 Mitglieder, von denen 100 regelmäßig an Gottesdiensten und am Gemeindeleben teilnehmen. Jeden Dienstag treffen sich Mitglieder, um gemeinsam an ihren Computerkenntnissen zu tüfteln, Gymnastik zu betreiben oder zu israelischen Klängen zu tanzen. Auch das Jugendzentrum »Simcha« nimmt einen wichtigen Platz in der Gemeindearbeit ein, sagte Halyna Dohayman. Sie ist Vorstandsmitglied und zuständig für die Jugendarbeit. »Wir bringen Kindern und Jugendlichen spielerisch unsere Traditionen und Bräuche bei.« Am Sonntag stellen sich einige Gruppen auch den Besuchern vor. Im Gemeindesaal zeigt der Chor sein Können, und die Tanzgruppe fordert zum Mitmachen auf.

Besonderheiten Viele Besucher sind an diesem Tag zum ersten Mal in der Heidelberger oder überhaupt in einer Synagoge. Deshalb betont Pawelczyk-Kissin beim Rundgang durch die Synagoge: »Runde Gotteshäuser wie unseres sind ungewöhnlich, etwas Besonderes.« Heidelberg habe »Glück gehabt«, dass der Architekt diese Form gewählt hat. Das bringe aber auch Schwierigkeiten mit sich. »Wenn wir die Gebetsrichtung einhalten wollen, ist das immer ein Durcheinander«, erklärt der Rabbiner und lacht. Die Gemeinde habe häufig Gäste aus anderen Ländern oder Städten, die erst einmal mit der runden Form klarkommen müssen. »Bei uns ist es nie langweilig«, sagt der Rabbiner. »Durch die bekannte Universität hier in Heidelberg haben wir fast jede Woche Wissenschaftler oder junge Studenten zu Gast.«

Anhand von Anekdoten erklärt er fast nebenbei einige Bräuche und Traditionen, liest Psalmen, um den Besuchern einen Eindruck von einem Gottesdienst zu vermitteln, und lädt sie ein, wiederzukommen. »Wir sind, soweit ich weiß, die einzige Gemeinde in Deutschland, die den Gottesdienst genauso abhält wie vor dem Krieg«, sagt Pawelczyk-Kissin. »Das wird Frankfurter Brauch genannt. Wer also Lust auf eine kleine Zeitreise hat, kann gerne vorbeischauen.« Man bemühe sich auch immer, Besuchern zu helfen, dem Gottesdienst, bei dem die Lesung der Tora, der Propheten sowie der Psalmen »natürlich auf Althebräisch« erfolge, zu verfolgen. Nur eine Anmeldung sei nötig.

Sicherheit »Bisher wusste ich nicht, dass man als Nichtjude einfach an den Gottesdiensten teilnehmen kann«, sagt Konrad Hofmeister überrascht. Er will den Tag der offenen Tür nutzen, um zu sehen, »wie Gott in einer anderen Religion verehrt wird«, und ist beeindruckt von dem Vertrauen, dass die jüdische Gemeinde den Besuchern entgegenbringt. »Man hat uns ohne irgendwelche Kontrollen hereingelassen«, sagt er. Sie seien oft an der Synagoge vorbeigeradelt, aber haben sie noch nie von innen gesehen, erzählen Jochen und Annegret Tröger. »Es ist ein wichtiger Kultur- und Religionsort, und wir finden es toll, dass die Gemeinde so offen ist und Besucher einlädt.«

Auch Stefan Holder habe »nie die Hürde genommen«, sich als Besucher anzumelden. »Das Judentum ist für mich als eine der ältesten Religionen die wohl geheimnisvollste«, sagt Holder. »Im Alltag habe ich damit fast keine Berührungspunkte und freue mich, einfach mal reinzuschnuppern.« Eine andere Besucherin bekennt: »Ich weiß sehr wenig über die jüdische Kultur und möchte ein paar Lücken schließen.« Außerdem sei ihr wichtig, dass sich Religionen gegenüber anderen öffnen. »So ein Tag ist da eine tolle Möglichkeit.«

Aktivitäten Diese Offenheit ist der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg sehr wichtig, sagt Pawelczyk-Kissin. Neben dem Tag der offenen Tür und den Gottesdiensten gebe es viele Möglichkeiten, bei Aktivitäten der Gemeinde mitzumachen. »Unsere kulturellen Veranstaltungen, wie Konzerte oder Ausstellungen, sind immer offen für alle. Leider bekommen das viele nicht mit.« Nur wenn die Gemeinde sehr viel Werbung mache, würden die Angebote wirklich genutzt.

Ein weiteres Herzstück der Gemeindearbeit sei der interreligiöse Dialog der Stadt Heidelberg, bei dem die Gemeinde seit der Gründung mit dabei ist. »Oft sprechen mich auch Besucher an, dass sie es toll finden, wie offen wir sind, und dass man so viel über das jüdische Gemeindeleben lernt. Genau das wollten wir mit dem Tag der offenen Tür erreichen.«

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