Der Eklat ließ nicht lange auf sich warten. Keine vier Wochen nachdem sich die renommierte Judaistin Edna Brocke als Leiterin der »Alten Synagoge« in Essen in den Ruhestand verabschiedete, geriet das Haus Anfang Mai in schwierige Diskursgewässer, und die Wogen zwischen Stadtverwaltung und Mitarbeitern der Gedenkstätte sind bis heute noch nicht geglättet.
Den Eklat löste ein offener Brief aus. Verfasser des Schreibens vom 3. Mai, das unter anderen an die Ministerpräsidentin des Landes NRW und Essens Oberbürgermeister verschickt wurde, ist Muhammet Balaban. Er ist Vorsitzender des Essener Integrationsrates sowie Sprecher der Kommission »Islam und Moscheen in Essen« (KIM). Balaban entrüstete sich über die Ankündigung eines Vortrags in der Alten Synagoge mit dem Thema: »Antisemitismus heute«. Der deutsch-israelische Publizist Chaim Noll sprach über den Judenhass im Islam.
anfeindung Es sei »schon seit Jahren zu beobachten, dass die Alte Synagoge sich immer mehr von ihrer eigentlichen Mission entfernt und islamfeindlichen Tendenzen enorm Anschub leistet«, polterte Balaban. Und weiter: »Es ist inakzeptabel, dass diese Einrichtung damit Misstrauen, Hass, Anfeindung und Unfrieden in unserer Gesellschaft sät«. Das Schreiben endet mit der »Bitte«, die Honoratioren mögen »dafür Sorge tragen, dass die Leitung der Alten Synagoge ihre Haltung zu der Gesamtverantwortung in unserer Stadt und Gesellschaft ändert und ihre Themen mit Sorgfalt angeht«.
Was den Krach zwischen der Alten Synagoge und der KIM erst zum »Synagogen-Streit« machte, war die Reaktion des Oberbürgermeisters auf den Brief. Der Sozialdemokrat Reinhard Paß antwortete Balaban noch am selben Tag, ebenfalls in einem offenen Brief: »Daher erwarte ich, dass die neue Leitung der Alten Synagoge sich den Integrationsgedanken deutlich mehr zu eigen macht, als dies bisher der Fall war.«
Damit erweckte Paß den Eindruck, er teile Balabans Kritik. Just der Paß also, der Edna Brocke noch in Schutz nahm, als diese im Jahr 2008 mit seinen CDU-Vorgänger Wolfgang Reiniger einen Streit um eine städtische Mitarbeiterin ausfocht, die während des Libanon-Kriegs antisemitische Flugblätter verteilt hatte. Der Paß, der bei seiner Abschiedsrede für Edna Brocke noch versicherte: »Die Stadt ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«
Reputation Die Atmosphäre während des Vortrags selbst blieb giftig, aber friedlich. Einige Diskussionsteilnehmer gingen jedoch wenig zimperlich mit dem Referenten ins Gericht. Sie stellten schlicht seine wissenschaftliche Reputation infrage, warfen ihm Einseitigkeit vor; andere wiederum fühlten sich massiv beleidigt, wollten es sich nicht gefallen lassen, als Antisemiten »abgestempelt zu werden«, nur weil sie muslimischen Glaubens sind. Dies hatte Chaim Noll aber auch mit keiner Silbe getan. Er sprach lediglich über Antisemitismus im Islam und keineswegs pauschal über Moslems als zwanghafte Judenhasser.
Die jüdische Gemeinde blieb auf die Frage, was sie denn von der Sache halte, in ihrer Antwort allgemein. An der Diskussion habe man nicht teilgenommen. Er kenne die Thesen von Noll nicht und wolle sich deswegen auch nicht dazu äußern, erklärte Hans-Hermann Byron von der Jüdischen Kultus-Gemeinde. Mit Sicherheit gäbe es einen muslimischen Antisemitismus und so müsse es in Essen auch möglich sein, über die kritikwürdigen Seiten aller Religionen zu sprechen«, erklärte Byron.
Gestaltungshoheit Im Kern geht es in dieser Angelegenheit um die Gestaltungshoheit des Programms der Gedenkstätte Alte Synagoge, die Edna Brocke in langjähriger Kleinstarbeit zu einem Haus der jüdischen Geschichte gemacht hat, zu einem Ort der Begegnung und Debatten. Peter Schwiderowski, ihr Stellvertreter, der derzeit das Haus kommissarisch führt brachte in diesen Tagen die Courage auf, einer Pressemeldung der Stadt in dieser Angelegenheit öffentlich zu widersprechen: »Die Alte Synagoge hat weder etwas zu bedauern noch etwas zurückzunehmen.«
Diesen Eindruck hatte aber die Pressemeldung aus dem Büro des Kulturdezernenten Andreas Bomheuer erweckt. Bomheuer hatte Vertreter der Alten Synagoge und der KMI zu einem Treffen in sein Büro geladen. Das Gespräch verlief äußerst angespannt, Balaban sieht sich und alle Muslime durch den Ankündigungstext zum Noll-Vortrag weiterhin beleidigt. Und während der Kulturdezernent beschwichtigend von Differenzen spricht, die »nicht gänzlich ausgeräumt werden konnten« spricht Schwiderowski von unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten. Es ist das Verdienst der Alten Synagoge, dass sie das so deutlich ausspricht.