Als eine Art Inventur hat Ellen Presser als Veranstalterin einer Themenreihe zur Situation der Juden in Deutschland nach 1945 dieses Vorhaben bezeichnet. Die Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde hat hierzu bislang zu zwei Abenden eingeladen.
Der erste Abend galt dem bei Piper erschienenen Band von Oliver Guez Heimkehr der Unerwünschten. Eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945. Beim zweiten Abend waren die Autorin Olga Mannheimer und die Professoren Micha Brumlik und Michael Brenner zu Gast. Sie hatten Beiträge zu dem von Brumlik und Y. Michal Bodemann im Wallstein Verlag herausgekommenen Band Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven geschrieben.
1945 sei während dieser Bestandsaufnahme, laut Presser, der Blick eher von außen erfolgt, heute sei es eine Innenansicht. Kann man von einem Aufblühen jüdischen Lebens sprechen? Mit dem Blick auf das Entstehen von immer mehr neuen neuen Synagogen könne man dies auf den ersten Blick bejahen, so Michael Brenner. Man müsse das Augenmerk aber auch auf das richten, was innerhalb passiere.
Da sei eine große Vielfalt und viele Initiativen. Er nannte als Beispiel neu entstandene Rabbiner-Seminare. Brenner erinnerte daran, dass es bis 1989 in Deutschland rund 30.000 Juden gab. Heute sind um die 100.000 gemeldet. Diese Relation verweist auf einen Aufbruch.
Israelis Die Anwesenheit der Juden in Deutschland, so Olga Mannheimer, werde durch ihre Präsenz in den Medien unterstrichen. Es bewege sich derzeit unglaublich viel – und das sei überfällig. Micha Brumlik verwies darauf, dass zu den 100.000 bis 110.000 offiziell gemeldeten Juden noch etwa 50 Prozent hinzukämen, die nicht innerhalb einer jüdischen Gemeinde lebten, sowie etwa allein in Berlin rund 12.000 Israelis.
Diese lebten vor allem in Berlin. »Die neuen deutschen Juden«, so Brumlik weiter, »das sind die Russen.« Damit meinte er die aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland emigrierten Juden, die in der Generation auch der 20- bis 25-Jährigen noch russisch spreche. Deutschland sei für sie das Land, in dem sie voll und ganz akzeptiert leben –»ganz im Gegensatz zu uns in diesem Alter«, wie er hinzufügte.
Denn nach 1945 sei das Leben der Juden in Deutschland von den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust geprägt gewesen. Die Überlebenden waren traumatisiert.
Kafka Mit Blick auf die Zukunft warf Ellen Presser das Studium der Tora und die Einhaltung der Gebote als »Schlüssel zum Überleben des Judentums« in die Runde. Michael Brenner erinnerte an einen Brief Kafkas an seinen Vater, in dem er fragte, was bleibe, wenn es nicht die Religion ist.
Was aber bedeutete der zweite Teil des Buchtitels Deutschland in den Juden? Für Micha Brumlik ist das ganz klar die Sprache: »Ich bin vom deutschen Gymnasium geprägt, war aber zu dieser Zeit auch brennender Zionist.« Und noch etwas hat sich geändert, ergänzte Brenner: »Es ist die Kultur, in der wir aufwachsen. Heute kann man – noch anders als vor 20 oder 30 Jahren – leichter an unterschiedlichen Plätzen zusammen sein und zudem virtuell durch das Internet.«
Wie dieser Wandel geschah und wie ihn Zeitzeugen erlebt haben, die 1945 in das Land des Holocaust zurückgekehrt waren, dem ist Oliver Guez in seinem Buch Heimkehr der Unerwünschten nachgegangen. Der Autor, 1974 in Straßburg geboren, hat Politische Wissenschaft, Internationale Beziehungen und Rechtswissenschaften studiert und arbeitet als Journalist und Buchautor.
Zeitzeugen Im Rahmen der Standortbestimmung zur Situation der Juden in Deutschland hatte ihn Ellen Presser in Kooperation mit dem Institut Français und dem Piper Verlag ins Gemeindezentrum eingeladen, ebenso wie Rachel Salamander, eine seiner Zeitzeuginnen. Moderatorin Anne Ameri-Siemens stellte die Frage, die so manchen im Saal bewegte: Warum der Untertitel? Guez verwies auf den Untertitel des französischen Originals: Die unmögliche Rückkehr.
Dass heute, nach der Vernichtung von Millionen Juden während der Schoa, Deutsche nicht nur wieder in Deutschland leben, sondern eine junge Generation dies auch selbstbewusst tut, ist für ihn ein Wunder. Viele Menschen haben dazu beigetragen – nicht zuletzt auch Rachel Salamander, die mit ihrer Literaturhandlung seit 1982 Wissen über jüdisches Leben und die Geschichte vermittelt.
Jede Generation habe ihre eigenen Fragen, so Salamander. War noch bis in die Mitte der 60er-Jahre jüdisches Leben kein Thema für Deutsche, so trat mit der 68er-Generation ein langsamer Wandel ein. In dem neuen Berlin, so Guez, zeige sich, das jüdische junge Leute nicht anders seien. Vielleicht werde damit, so Salamander, das Thema Juden in Deutschland eines Tages auch nicht mehr die Relevanz von heute haben.