Die jüdische Gemeinde in Duisburg hat zum Tag der Offenen Tür eingeladen. Schon die Architektur des Gebäudes bezeugt die Botschaft der Offenheit – ebenso wie das Bedürfnis nach Sicherheit: Die Transparenz großer Glastüren der Synagoge verschmilzt mit der schützenden Robustheit von eisenarmiertem Beton.
Die meisten Besucher waren noch nie in einer Synagoge und kommen aus Neugierde. Unter ihnen zwei Freundinnen: Sie interessieren sich schon seit Längerem für jüdischen Glauben und haben, wie sie erzählen, nur auf die passende Gelegenheit gewartet, um einen konkreten Einblick zu bekommen. Beide sind mittleren Alters und durch einen Zeitungsartikel auf das Angebot aufmerksam geworden. »Ich war ganz allgemein neugierig«, sagt eine der beiden, die andere lächelt zufrieden: »Ich bin froh, dass mich meine Freundin heute so spontan mitgenommen hat. Das war eine richtig gute Idee.«
Kippa Auch Michael Rubinstein wirkt zufrieden. Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen lächelt viel, während er die Besucher begrüßt und die Männer bittet, in der Synagoge eine Kippa aufzusetzen. Auch wenn vereinzelt jüngere Besucher in den Bänken sitzen, gekommen sind vor allem Senioren und Menschen mittleren Alters. So wirkt Rubinstein neben den Wartenden nicht nur optisch sehr jung, sondern auch dann, wenn er zu Altarraum und allgemeiner Etikette erklärt: »Hier ist eigentlich alles ganz locker.«
Vor einem Vierteljahrhundert bestand die Ruhrgebietsgemeinde, so berichtet Rubinstein den Besuchern, aus gerade einmal 16 Betern – heute sind wieder 2700 Mitglieder registriert. Rund 98 Prozent sind russischsprachige Zuwanderer, die aus der ehemaligen Sowjetunion in die Revierregion emigrierten und inzwischen dem auf Deutsch und Hebräisch gehaltenen Gottesdienst auch folgen können.
betsaal Eine ähnlich lockere Stimmung kündigt Rubinstein auch für die erste der beiden 90-Minuten-Einführungen in Judentum und Gemeindeleben an, die Gemeinderabbiner Paul Moses Strasko übernimmt: »Sie werden viel Spaß mit unserem Rabbiner haben.« Bevor Rubinstein seine kurze Rede beendet, bittet er allerdings noch um Unterstützung. Die Fassade des Gemeindezentrums muss dringend umfangreich saniert werden; ein Spendenkonto sei eingerichtet worden. Dann dürfen die Besucher auch schon in den kleinen Betsaal. Obwohl etwa 200 Menschen hineinpassen, reichen die Sitzplätze an diesem Tag kaum. Sogar die sonst unbeliebten vorderen Reihen füllen sich.
Für viele ist es der erste Besuch einer Synagoge. Der Rabbiner geht damit souverän um. Gleich zu Beginn der Fragerunde kündigt Strasko schon mal: »Ich verspreche, wir töten keine Kinder, um unsere Mazze zu machen.« Er blickt dabei in neugierige, aber auch scheue Augen der Gäste, schafft es aber innerhalb kurzer Zeit, die Stimmung aufzulockern. »Alle Fragen sind okay.« Nur über Israel möchte Strasko nicht debattieren. »Ich bin kein Politiker. Ich bin Rabbiner einer Gemeinde in Deutschland.«
In den kommenden 90 Minuten beantwortet er ebenso unterhaltsam wie kompetent eine Frage nach der anderen. »Bitte nur zwei Fragen zur Beschneidung.« Ein Mann möchte wissen, »welche Bedeutung die Löckchen haben«. Eine Besucherin fragt nach der Stellung der Frau in der Gemeinde.
panzerglas »Als wir gehört haben, dass Interpretationen im Judentum so eine zentrale Rolle spielen, haben wir sofort gedacht: Da würden wir auch gut reinpassen«, sagt eine Besucherin. Die Mülheimerin ist auch gekommen, weil sie noch sehr positive Erinnerungen an Jacques Marx, den ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, hat. Der Apotheker Marx ist vielen noch aufgrund seines Wirkens in Mülheim bekannt.
Aber trotz des Engagements von Menschen wie Marx muss die Synagoge noch immer bewacht werden. Der Rabbiner räumt dieser Tatsache bei seiner Ausführung trotzdem nur wenig Zeit ein. »Ich fange damit an, weil es nur wert ist, das fünf Minuten zu besprechen.« Lieber, sagt Strasko, möchte er die Zeit dafür nutzen, das Verständnis für jüdisches Leben zu fördern: »Für uns heißt das, immer noch hinter Panzerglas zu leben.«