Nach Duisburg soll jetzt auch Mülheim an der Ruhr einen jüdischen Kindergarten bekommen. »Wir haben mit Sicherheit das notwendige Potenzial«, sagt Alexander Drehmann, der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde im Städtedreieck Duisburg-Mülheim-Oberhausen.
Es gebe genügend junge Gemeindemitglieder und -familien, die einen Kindergartenplatz für ihren Nachwuchs suchen, sagt Drehmann, was eine Tagestätte unter Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde rechtfertigen würde. Außerdem seien Kita-Plätze in der Region generell knapp, und die jungen Gemeindemitglieder würden gerne die Ein- bis Siebenjährigen tagsüber in der Obhut einer jüdischen Erziehungseinrichtung wissen.
Derzeit müssen die jüdischen Eltern aus Oberhausen und Mülheim ihre Kleinen im Vorschulalter noch täglich in den jüdischen Kindergarten nach Duisburg bringen. Je nach Wohnort bedeutet das für sie, bis zu 20 Kilometer fahren zu müssen. In Duisburg leben rund 1300, in Mülheim 800 und in Oberhausen 400 Gemeindemitglieder.
zentrum Duisburg war mit dem Gemeindezentrum plus Synagoge, den Sozialeinrichtungen und der Verwaltung lange Zeit Dreh- und Angelpunkt der Drei-Städte-Gemeinde und hat in eigenen Räumlichkeiten seit fast zehn Jahren den »konfessionellen Gemeindekindergarten« untergebracht, berichtet Heike Kaminski. »Hier werden in zweieinhalb Gruppen 40 bis maximal 45 Kinder bis zu 45 Stunden in der Woche betreut«, erklärt die Koordinatorin der Gemeinde für den Kindergarten. Betreut werden Ein- bis Dreijährige, sogenannte Bambini, sowie Kleinkinder bis ins Vorschulalter.
Auch wenn die Kindertagesstätte in Duisburg mit der Jüdischen Gemeinde einen konfessionellen Träger hat, handelt es sich um eine sogenannte teiloffene Einrichtung. »Bei uns werden auch muslimische, alawitische, evangelische und katholische Kinder betreut«, betont Kaminski. »Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht, die Eltern sind zufrieden.«
Für die Kinder wird jeden Tag in der eigenen Küche – unter Beachtung der jüdischen Speisegesetze – frisch gekocht. Aus praktischen Gründen und auch in Anbetracht der Kinder, die nicht koscher essen, werden vegetarische und Fischgerichte angeboten.
Inspiriert durch die Erziehungsmethoden des polnischen Kinderarztes und Pädagogen Janusz Korczak stehen für die Duisburger Erzieherinnen die Kinder ganz besonders im Mittelpunkt des Tagesablaufs.
Neben den altersgerechten Aktivitäten, die angeboten werden, »stehen den Kindern die Türen offen. Sie entscheiden entsprechend ihren Interessen und Bedürfnissen, was sie machen möchten«. Angesichts eines solchen Angebots nehmen die Eltern aus Oberhausen und Mülheim an der Ruhr, die ihre Kinder in die Gemeinde-Kita schicken wollen, das tägliche Stop-and-Go auf den Verbindungsstraßen zwischen den drei Ruhrgebietsstädten in Kauf. Manche von ihnen sind bis zu einer Stunde unterwegs – morgens wie abends. Acht Familien nehmen diese Anfahrtswege von Mülheim nach Duisburg trotzdem auf sich.
Aufwand Andere jüdische Eltern scheuen den Aufwand, haben kein Auto, oder es fehlt ihnen aus beruflichen Gründen die Zeit, Stunden auf vielbefahrenen Straßen zu verbringen, um ihre Kinder in einen jüdischen Kindergarten zu geben. Einige Gemeindemitglieder bringen deshalb ihre Kinder in einer Tagesstätte bei einem städtischen oder einem anderen konfessionellen Träger vor Ort unter.
»Verständlicherweise sucht man Alternativen in der Nachbarschaft«, sagt Drehmann. Aber der 39-Jährige weiß auch aus Gesprächen mit Gemeindemitgliedern: »Gäbe es einen jüdischen Kindergarten in Mülheim, würden die Eltern ihren Nachwuchs zu uns schicken.«
Das seit fast zehn Jahren praktizierte Kita-Modell der Gemeinde ließe sich auch für Mülheim umsetzen, sowohl pädagogisch als auch organisatorisch, sagt Drehmann. Bei der Stadt Mülheim und dem Stadtrat ist die Gemeinde mit ihrem Wunsch nach einem Kindergarten durchaus auf offene Ohren gestoßen. Die Kommunalpolitiker besuchten vor wenigen Tagen das Duisburger Gemeindezentrum, um sich über Sorgen, Anregungen und Probleme zu informieren – und ihre Solidarität gegen Antisemitismus zu bekunden.
Resolution Im Gepäck hatten die Besucher eine Resolution, die der Stadtrat kurz zuvor beschlossen hatte. »Der Rat erklärt: Antisemitismus, gleich aus welcher politischer, religiöser oder ethnischer Richtung stammend, muss in Mülheim und anderswo mit null Toleranz begegnet werden.
Der Rat stellt sich ohne Wenn und Aber an die Seite der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger«, hieß es darin. Oberbürgermeister Ulrich Scholten (SPD) sagte dazu der Jüdischen Allgemeinen: »Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Leben solche Auswirkungen von Antisemitismus erleben muss – und dass das Wort ›Jude‹ als Schimpfwort missbraucht wird.«
In Zeiten leerer Kassen, unter der vor allem Ruhrgebietsstädte zu leiden haben, reicht allerdings das vorhandene Wohlwollen allein nicht aus – eine Machbarkeitsstudie und ein Finanzierungsplan müssen her. Damit ist jetzt die Gemeinde gefragt. Ob sich das Projekt realisieren lässt, muss eine detaillierte Bedarfsanalyse ergeben, die Drehmann mit Experten und Gemeindemitgliedern erstellen will.
Die positiven Erfahrungen aus Duisburg, vor allem auch die Einbeziehung nichtjüdischer Kinder, wird dabei ebenso eine Rolle spielen wie die Zahl der bereits vorhandenen Kindergartenplätze in Mülheim und der Familien, die sich um einen Platz für ihre Kinder bewerben. 40 bis 45 Kinder könnten perspektivisch auch in Mülheim eine Kita der jüdischen Gemeinde besuchen. Mit einer interreligiösen Einrichtung habe man sehr gute Erfahrungen gemacht, sagt Heike Kaminski. Schließlich wäre die Mülheimer Kindertagesstätte dann ein weiteres Beispiel für das »Miteinander der Religionen«.
Bisher gibt es in Mülheim keine Gemeindeeinrichtungen. Ein angemietetes Sozialbüro ist für die Senioren der Gemeinde Ansprechpartner. Jetzt wird geprüft und gerechnet. Vielleicht, so hofft Drehmann, sind die Pläne schon zum nächsten Jahr konkret, wenn die Kindertagesstätte in Duisburg ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Vielleicht könnte die Tageseinrichtung für Kinder auch in ein Gemeindezentrum integriert werden, als Treffpunkt für Jung und Alt. »Es wäre schön, wenn wir dies miteinander verbinden könnten«, sagt Heike Kaminski.
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