»Ich jubel morgen ganz doll!«, sagt Liron und hält sein Knie, das er sich gerade beim Spikeball verdreht hat. Seine Geschwister treten bei der Jewrovision 2024 auf, »und ich kann den ganzen Text auswendig!« Er hofft, übernächstes Jahr selbst auf der Bühne zu stehen. Dann sei er alt genug.
Tag zwei des größten Tanz- und Gesangswettbewerb für jüdische Kinder und Jugendliche in ganz Europa. Mehr als 1200 Kinder und Jugendliche aus 65 Gemeinden! Es ist das große Zusammen-Fest, das so wunderbar mit einer Welt versöhnt, die sich gerade so feindlich gibt.
»Wir haben alle zusammen gebetet, das war so toll!«, sagt Davina, Madricha aus Hannover. »Das hat man ja sonst nicht.« Egal, welchen Teilnehmer man fragt - ob Act, Madrichim oder Freunde und Familie, die zum Anfeuern mitgekommen sind -, jeder genießt in vollen Zügen die Gemeinsamkeit, saugt sie ein wie Sauerstoff, der zu knapp geworden ist. Immer wieder ist die Begeisterung darüber zu hören, alte Freunde zu treffen und neue zu finden.
Von Fußballchören zu Juze-Hymnen bis zu Hine ma tov
Gleich beginnt die Hawdala, im Essenssaal wird sich seit ungefähr einer Stunde warm gesungen. Von Fußballchören zu Juze-Hymnen bis zu Hine ma tov. Die positive Energie ist sättigender als der Hummus. Sie wissen, was das heißt!
Den Tag über gab es Workshops, die meisten Jungs haben im Trainingsstadion von Hannover 96 gespielt und waren beeindruckt von der schieren Größe der Spielfelder. Andere haben meditiert, Neues über ihre Religion gelernt, zusammen Sport gemacht, aber auch gemeinsam gelernt, wie man mit dem erstarkenden Antisemitismus umgehen soll.
»Ich fühle mich jetzt sicherer«, sagt Anastasia vom Juze Emuna Dortmund. »Das ist ganz anders als zu Hause«, sagt Levi aus Saarbrücken von Elef Drachim. »Wir sind in einer fremden Stadt, und wir sind alle Juden. Das ist einzigartig«, freut sie sich.
Langsam, ganz vereinzelt, kommen die Handys wieder raus, die die Jugendlichen am Schabbat wirklich in den Taschen gelassen haben. Er habe am Morgen orthodox gebetet, sagt ein 12-jähriger Teilnehmer, der am Sonntag ganz vorn auf der Bühne stehen wird, und deshalb »etwas nervös« sei. Dann hellt sich sein Gesicht auf, und er sagt: »Es gibt richtig gute Stimmung. Und die beste macht Olam Berlin.«
»Da ist Verbundenheit!«
»Wir werden die Lautesten sein«, sagt denn auch Talia, 14, von den Berlinern. Sie scheint schockverliebt in die Jewrovision, sie ist das erste Mal hier. »Man fühlt sich sofort daheim! Da ist Verbundenheit!« Auch ihre Freundin Sabina, 15, ist sehr emotional: »Wir wollen alle das Gleiche: Frieden, und dass wir einfach so leben können, wie wir sind!«
Und das genau sei die Jewrovision: »Wir singen dafür, dass wir alle zusammen sind. Unsere Religion verbindet«, fügt Rosa, 14, hinzu. »Alle Leute im Raum sind Geschwister.« Hier fühle man sich nicht mehr allein, »man hat ein Volk hinter sich, eine Familie!«, sagt Sabina.
Das Singen wird allen Ernstes noch lauter und kräftiger, bis ein mikroverstärktes »Sssshhhhhh!« die tobende Menge beruhigt.
»Es ist ein Ereignis, das Generationen geprägt hat«, sagt Mr. Jewrovision, Marat Schlafstein, der seit zwölf Jahren dieses großartige Mini-Machane auf die Beine stellt. »Mittlerweile stehen Kinder auf der Bühne, die kein Leben ohne Jewrovision kennen.« Er strahlt. »Eltern müssen den Osterurlaub umbuchen, weil die Kinder lieber zur Jewro wollen. Das flasht mich selbst!« Die Gebete beim Schabbat-Gottesdienst seien besonders intensiv gewesen.
Symbol der Stärke
Dann greift er selbst zum Mikrofon: Die Jewrovision sei ein »Symbol der Stärke, der Lebendigkeit und der Zukunft unserer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland«, sagt Schlafstein. »Sie ist euer Zeichen nach innen und außen! Wir sind da! Wir sind stolz! Und alle sollen uns hören und sehen!« Der Saal tobt wieder. Guter Vibe hier, sagt Maksym, 16, aus Dortmund.
Und wie wird der Auftritt am Sonntag? »Wenn man erstmal auf der Bühne steht, sieht man das Publikum nicht mehr«, sagt Alina, 15, die schon zum vierten Mal hier ist. Und was macht man, wenn man aufgeregt ist? »Einfach nur lächeln!« Sagt es, und in ihrem Gesicht geht die Sonne auf.
»Es ist sehr wichtig für uns seit dem 7. Oktober, das jüdische Leben zu feiern«, sagt Madricha Simone und bringt das Gespräch auf das, was alle trotz des irren Glücks doch im Hinterkopf haben. »Und es ist etwas ganz Besonderes, dabei sein zu dürfen!«
»134 Geiseln halten wir in unseren Gedanken und unseren Herzen«, sagt Marat Schlafstein am Ende seiner Rede. »Am Israel Chai«, hallt es durch den Saal.