Direktorin Barbara Witting ist überzeugt: Die 2012 verstorbene Schulsenatorin und Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Hanna Renate Laurien, habe großen Anteil daran, dass die Jüdische Gemeinde der Hauptstadt vor 20 Jahren ihre jüdische Schule wiedereröffnen konnte. Nach dem Zivilisationsbruch durch die Schoa und die DDR-Zeit habe man den Betrieb der von Moses Mendelssohn 1778 angeregten ersten jüdischen Freischule 1993 wieder aufnehmen können. Mit gerade einmal 27 Schülern und damals noch als Grundschule. Am kommenden Sonntag feiern Schüler, Lehrer und Eltern nun das 20-Jährige.
Als Barbara Witting im Februar 2002 die Leitung übernahm, besuchten bereits 260 Schüler das Gymnasium, heute sind es etwa 420 Jugendliche aus aller Welt. Rund 20 Nationalitäten lernen hier. Auch die 40 Lehrer, fest angestellte und Honorarkräfte, kommen aus vielen unterschiedlichen Ländern. Aus Israel, Mexiko, den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – viele Sprachen sind im ehrwürdigen Gebäude von 1860 an der Großen Hamburger Straße zu hören.
Bundesjugendspiele Das Lehrangebot ist vielfältig, drei Sprachen sind Standard, der Fokus liegt für alle Schüler, auch die nichtjüdischen, auf dem Judentum. Die Webseite gibt Überblick über aktuelle Termine, Kursangebote und Projekte. Zurzeit befinden sich Lehrer und Schüler mitten im Abitur. Mitte des Monats stehen auch noch die Bundesjugendspiele an. Doch vorher – am 9. Juni – das große Fest zum 20-Jährigen.
Entsprechend beschäftigt sind Lehrer und Mitarbeiter. Barbara Witting freut sich, dass vor allem Absolventen zur Feier kommen, die die Schule noch aus der Zeit vor ihrer Schließung durch die Nazis 1942 besuchten. Unter ihnen Inge Deutschkron und Margot Friedländer, Rudolf Rosenberg sowie Ruth und Heinz Hirsch. Hochbetagter Besuch reist auch aus Israel und England an.
Ein Ehemaliger habe sich gewünscht, eine Rede zu halten, um an die ermordeten Schulfreunde von damals zu erinnern. Kammerorchester und Chor des Moses-Mendelssohn-Gymnasiums sorgen für die musikalische Umrahmung der Feier.
Elf Jahre als Schulleiterin haben Barbara Witting nicht müde werden lassen. Mit Begeisterung spricht sie von den Schülern und ihren Erfolgen. Ganz besonderen Wert legt die Schule etwa auf ihre musische Ausbildung. Ergebnis: David Malaev hat bei »Jugend musiziert« im Fach Geige den ersten Platz belegt und hat bereits jetzt einen Studienplatz an der Hanns-Eisler-Musikhochschule. »Wir haben viele Schüler, die sich im künstlerischen Bereich hervortun, als Schauspieler mit kleineren Auf- tritten im Tatort und im Deutschen Theater oder als Autoren.«
Identität Witting führt dieses Engagement auf die Elternschaft zurück. »Unter ihnen sind Galeristen, Schauspieler, Schriftsteller, die ihr Talent und Interesse an die Kinder weitergeben.« Ähnlich ist es bei den Naturwissenschaften oder im Sport. Pokale, die Meisterschaften in Schach und Fußball bezeugen, stehen in der Vitrine vor ihrem Büro. Zwei »Mendelssohner« werden im Juli zur Maccabiah nach Israel fahren. Ganz besonders liegen Witting jedoch die jüdische Identität und das Selbstbewusstsein ihrer Schüler am Herzen. »Neben den jüdischen Schülern haben wir auch viele mit dunkler Hautfarbe und Asiaten, wir wollen sie stark machen, damit sie sich in der Gesellschaft behaupten können.«
Das Verhältnis von jüdischen zu nichtjüdischen Schülern liegt bei etwa 60 zu 40 Prozent. Alle sollen sie stolz und selbstbewusst werden. »Das ist auch ein kleiner Schritt, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vorzubeugen«, ist Witting überzeugt. »Unsere Schüler sind gewappnet, sich gegen Anfeindungen und Hetze zu wehren und werden den Toleranzgedanken weiter verbreiten.«
Witting hofft, dass sich die Schule mit Unterstützung des Berliner Senats so weitermachen und weiterentwickeln könne wie bisher. »Denn unsere Schule ist einzigartig in Deutschland. Nur hier können Schüler in einer vollkommen autonomen Einrichtung, ohne auf Kooperationspartner angewiesen zu sein, ihr Abitur ablegen.« 48 Absolventen werden es in diesem Jahr sein.
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