Auf ein Exponat ist Steffi Katschke besonders stolz. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Max-Samuel-Hauses zeigt auf Teile eines 1930 gedruckten Buches des Hinstorff-Verlages, das von Landesrabbiner Dr. Siegfried Silberstein herausgegeben worden ist. Es ist der Nachdruck einer in Kupfer gestochenen Esther-Rolle, die um 1700 entstanden ist. In elf Kopfbildern und 23 Darstellungen am Sockel der etwa 1,20 Meter langen Rolle ist die Geschichte Esthers eindringlich geschildert und durch Beschriftungen erläutert.
Immerhin kostete in den 30er-Jahren die Ausgabe »in Rolle mit Hülse als nummeriertes Exemplar, handgeschöpfte Bütten, in Pergament gebunden mit Goldaufdruck« 50 Reichsmark. Nicht nur mit diesem Teil der Ausstellung Juden in Rostock. Einst und jetzt des Max-Samuel Hauses, die im Rahmen der dritten Jüdischen Kulturtage eröffnet wurde, schließt sich der Kreis zur Jüdischen Gemeinde.
Spende Denn erst in diesem Jahr bekam die Jüdische Gemeinde eine neue Esther-Rolle. Eine großzügige anonyme Spende ermöglichte es, den Kauf und das Beschriften des notwendigen Pergaments in Auftrag zu geben. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Rostock, Juri Rosov, ist begeistert: »Wir erhalten durch die ornamenthafte Gestaltung der Esther-Rolle ein individuelles und absolut einzigartiges Kunstwerk, das es so nur in Rostock gibt.«
Die Ausstellung im Max-Samuel-Haus, Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock, zeigt in drei Abschnitten das rund 800-jährige jüdische Leben in der Hansestadt. Es reicht vom Mittelalter über das 19. Jahrhundert bis hin zur Moderne.
»Im Zeitraum 1259 bis 1370 können wir erstmals jüdisches Leben nachweisen«, sagt die Historikerin Steffi Katschke. Es habe nicht durchgängig Juden in Rostock gegeben, räumt die 37-Jährige ein, da Juden sich viele Jahrhunderte in der Hansestadt nicht niederlassen durften. Aber Studenten und Kaufleute waren immer wieder in Rostock. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts floriert die jüdische Gemeinde.
»Zeitgleich mit der katholischen Gemeinde wächst das Gemeindeleben«, erzählt die Rostockerin. Die Schau zeigt das Leben einiger Vereinsmitglieder, die als Ärzte, Politiker oder Unternehmer Teil der Rostocker Stadtgesellschaft waren. Im dritten Abschnitt wird das Wiedererstarken der Gemeinde nach 1992 mit rund 800 Gemeindemitgliedern skizziert.
Torarolle Ein Foto zeigt das Einbringen der Torarolle durch Rabbiner Andrew Steiman im Jahr 1998. »Wir sehen unsere Ausstellung als Zugabe zum 800. Stadtgeburtstag der Hansestadt«, sagt Steffi Katschke – und auch zum 25-jährigen Jubiläum der Jüdischen Gemeinde im kommenden Jahr.
Die Ausstellung »Juden in Rostock. Einst und jetzt« ist Teil der dritten Jüdischen Kulturtage mit 15 Veranstaltungen in Rostock, die seit dem 14. Oktober bis zum 4. November stattfinden. Dazu gehören Filmvorführungen, Musik und Gesprächsrunden.
Die Kulturtage seien Botschafter der jüdischen Kultur und auch eine Plattform des Austausches zu Themen rund um Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens, sagt Juri Rosov. Die Jüdische Gemeinde organisiert die Kulturtage in Kooperation mit anderen Vereinen und Organisationen. Dazu gehören die Heinrich-Böll-Stiftung, die Compagnie de Comédie, die Geschichtswerkstatt Rostock, das Max-Samuel-Haus, das Lichtspieltheater Wundervoll, das Literaturhaus Rostock, das Peter-Weiss-Haus und der Verein Arnold Bernhard.
Neu hinzugekommen sind in diesem Jahr die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern, die Evangelische Buchhandlung sowie das Jugend Alternativ Zentrum Rostock. »Sich mit der jüdischen Geschichte, Kultur und den Lebenswelten zu befassen, finde ich persönlich nicht nur spannend, sondern darin sehe ich auch einen wichtigen Auftrag unserer Stiftung. Die Jüdischen Kulturtage tragen zu einem Verständnis des Judentums bei und bieten mit Konzerten, Lesungen und Filmen wirklich tolle Kulturerlebnisse in Rostock«, findet die Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung in Mecklenburg-Vorpommern, Susan Schulz.
Bewegung Rostocks Gemeindevorsitzender Rosov ist sehr zufrieden: »Wir machen das erst zum dritten Mal, und es ist noch keine feste Tradition. Es gibt aber doch schon eine Bewegung, und wir haben in der Stadt viele Kooperationspartner. Das finde ich sehr gut.«
»Mein oberstes Ziel für die Jüdische Gemeinde ist es, Teil der Rostocker Zivilgesellschaft zu sein und Berührungsängste abzubauen«, sagt Rosov weiter. »Besonders eignet sich dafür Kultur«, findet er. »Ich war immer der Meinung, dass wir den Kampf gegen Antisemitismus nicht nur mit politischen, sondern auch mit kulturellen Mitteln führen müssen. Wir müssen die Menschen überzeugen, dass die jüdische Kultur, also auch die jüdische Seele, nicht so ist, wie sie von Antisemiten oft dargestellt wird.«
Die Ausstellung des Max-Samuel-Hauses »Juden in Rostock – Einst und jetzt« ist noch bis zum 18. April 2019 zu sehen. Geöffnet ist die Schau dienstags bis freitags von 10 bis 16 Uhr und nach Absprache. Regelmäßig finden Führungen statt. Weitere Informationen unter www.max-samuel-haus.de