Das Wochenende stand in Darmstadt im Zeichen des Gedenkens an das Novemberpogrom 1938. Vor 80 Jahren wurden auch in der südhessischen Stadt die jüdischen Gotteshäuser angezündet und zerstört. Zugleich feierte die Darmstädter Gemeinde das 30. Jubiläum der Neuen Synagoge, die symbolträchtig am 9. November 1988 eingeweiht wurde.
Der Gedenktag zum Novemberpogrom begann mit Zeitzeugengesprächen. Jüdische ehemalige Darmstädter aus Israel und den USA sprachen vor Schülern. Die anschließende Gedenkfeier wurde von der Cellistin Susan Salm und der Pianistin Lynn Stodola musikalisch begleitet.
Am Sonntag besuchten nach Angaben der Gemeinde etwa 300 Menschen den Festakt zum 30. Jahrestag der Neuen Synagoge. Unter den Gästen waren Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Alfred Jacoby, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Offenbach und Architekt der Darmstädter Synagoge, sowie Lucia Puttrich, Hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Der Gedenktag zum Novemberpogrom begann mit Zeitzeugengesprächen. Die Überlebenden kamen aus Israel und den USA.
Untermalt wurde der Festakt von der israelischen Klarinettistin Dana Barak und dem Gitarristen Flavio Virzi: Das Duo Barazik spielte spirituelle Niggunim und jiddische Melodien. Kantor Benjamin Maroko und Gemeinderabbiner Jehoschua Ahrens absolvierten den liturgischen Teil der Feier.
skepsis Von »der wohl schönsten Synagoge Deutschlands« sprach Daniel Neumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, zur Begrüßung. Er erinnerte an die Skepsis, die in den 80er-Jahren unter Darmstädter Juden herrschte. Niemand habe damit gerechnet, dass die Gemeinde jemals in ein solches Haus würde einziehen dürfen. Neumann würdigte das Engagement des damaligen SPD-Stadtverordneten Rüdiger Breuer, von dem die Idee zur Errichtung einer neuen Synagoge stammte. Er stellte zudem das Engagement der Darmstädter Bürgerschaft heraus, das die markanten Synagogenfenster des Künstlers Brian Clarke ermöglichte.
»Die Synagoge war für uns ein wunderbares Geschenk«, erinnert sich Neumann. Er ging auf die Hoffnungen ein, die mit der Einweihung der Neuen Synagoge verbunden waren. Es sollte ein offenes, stets zugängliches Haus werden. Dieser Aspekt konnte, weiß Neumann, nicht verwirklicht werden: »Die Realität und die Gefährdungslage machen uns einen Strich durch die Rechnung.« Zur Begründung sagte er: »Jüdisches Leben ist in Deutschland nämlich nicht normal.« Das sei es nie gewesen. »Und ich fürchte auch, dass es das nie sein wird«, so Neumanns Prognose.
In den 30er-Jahren war Darmstadt eine Hochburg der Nazis.
In seinem Grußwort rief Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch eine unangenehme Tatsache in Erinnerung. In den 30er-Jahren sei Darmstadt eine Hochburg der Nazis gewesen. 50 Prozent der Darmstädter hätten im März 1933 die NSDAP gewählt. Partsch betonte: »Mit den brennenden Synagogen gingen alle in diesem Land über Jahrhunderte erworbenen Werte in Flammen auf.«
Er sprach anschließend über Bedrohungen, denen die Demokratie gegenwärtig ausgesetzt ist: Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus. Demokratisch und selbstbewusst Widerstand zu leisten, sei erste Bürgerpflicht, sagte der Grünen-Politiker. Er würdigte Darmstadts »wachsame und entschlossene Zivilgesellschaft«.
Eine Ursache für die Krise der Demokratie vermutet Michel Friedman im fehlenden Gespür für ihre Fundamente.
FACEBOOK Eine ausgesprochen ernste und kämpferische Festrede hielt der Frankfurter Publizist Michel Friedman. Eine Videoaufnahme seiner Ansprache fand große Verbreitung auf Facebook. Ausführlich ging Friedman auf die heutige politische Situation ein. Von »Wehret den Anfängen« zu sprechen, sei problematisch, denn: »Wir sind mittendrin.« Er machte darauf aufmerksam, dass die AfD mittlerweile nicht nur im Bundestag, sondern auch in allen Landtagen vertreten ist. Sie sei keine demokratische Partei, betonte Friedman. Die AfD habe keine Kompetenzen in den relevanten Politikfeldern, sondern nur in »Hass, Gewalt und Ausgrenzung«.
Eine Ursache für die Krise der Demokratie vermutet Michel Friedman im fehlenden Gespür für ihre Fundamente. Er beklagte, dass kaum jemand für Freiheit, Gleichheit, Demokratie auf die Straße gehe. Friedman beobachtet ein duckmäuserisches Verhalten: »Was bedeutet Freiheit, wenn, obwohl man frei ist, der Opportunismus größer ist als die Sehnsucht nach Freiheit?«
Auch über seine Familiengeschichte sprach Michel Friedman, über seine Eltern, die die Schoa überlebten und als Flüchtlinge weder in Paris noch in Deutschland erwünscht waren. Er habe sich seinerzeit bewusst für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden, erinnerte sich Friedman.
Er betonte: »Es ist meine Gesellschaft, über die ich hier spreche.« Die Festrede schloss Friedman mit einem Zukunftsausblick hinsichtlich der Europawahl 2019. Seine Sorge um die europäische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wurde dabei deutlich.