Wenn mir vor einem Jahr jemand erzählt hätte, dass ich meine Batmizwa nachholen würde, hätte ich gelacht», berichtet eine Teilnehmerin des Düsseldorfer Batmizwa-Projekts sichtlich vergnügt. Seit Sonntag hat sie es nun schriftlich: Eine Urkunde bescheinigt ihr die Mündigkeit in der Gemeinde. Es ist aber nicht nur ein Schriftstück – dahinter steckt ein Jahr voller Lernen, Diskussionen, Gruppenerlebnissen – und viel Spaß.
Hintergrund: Durch große Teile der jüdischen Gemeinden in Deutschland zieht sich ein regelrechter Generationsbruch. Die Kinder kommen meist früh und ganz selbstverständlich mit der Religion in Kontakt. Die Jungen feiern mit 13 natürlich ihre Barmizwa, die Mädchen mit zwölf ihre Batmizwa. Doch gerade die Mütter und Großmütter dieser Kinder, die aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion stammen, wuchsen gänzlich anders auf. Die Batmizwa war in der UdSSR völlig unüblich.
Projekt Das führt bis heute dazu, dass diese Frauen häufig nur über ihre Kinder oder bei Gemeindeveranstaltungen mit ihrer Religion in Berührung kommen. Von der Tora wissen sie oft wenig. Tanya Rubinstein-Horowitz will das ändern. Mit großem Elan hat sie vor einem Jahr – mit Unterstützung der Düsseldorfer Gemeinde – ein bislang einzigartiges Projekt gestartet: Sie lud weibliche Gemeindemitglieder ein, sich regelmäßig mit der Schrift zu beschäftigen und sich so auf die Batmizwa vorzubereiten.
Von 81 Frauen, die vor einem Jahr starteten, haben 75 durchgehalten.
Das Echo war enorm: 81 Frauen im Alter zwischen 33 und 83 Jahren machten mit. 75 von ihnen blieben ein Jahr lang dabei, lernten über die Grundlagen jüdischen Lebens, diskutierten in kleinen Gruppen – und sahen ihr eigenes Judentum aus neuen Blickwinkeln. Sie alle holten nun am Sonntag in der Düsseldorfer Synagoge ihre Batmizwa nach. Ein nicht nur in Düsseldorf einzigartiger Vorgang. Julia ist eine von ihnen. «Als ich nach Deutschland kam, war ich 21 Jahre alt. In der Sowjetunion hatten wir keinen Zugang zur Religion. Meine Tochter dagegen hat hier mit zwölf Jahren ihre Batmizwa gefeiert», erzählt sie.
In einer von Tanya Rubinstein-Horowitz’ Gruppen beschäftigte sich Julia nun mit den Wochenabschnitten der Tora. Im Wechsel referierten die Frauen über den jeweils aktuellen Abschnitt und diskutierten darüber, was die Worte der Schrift für ihr Leben bedeuten könnten. Einige Frauen – wie beispielsweise Julia – machten erste Schritte im Hebräischen und gaben sich dabei auch hebräische Vornamen – aus Julia wurde so Yael.
walkathon Die Frauen haben in dem Jahr viel gemeinsam unternommen: Sie kochten gemeinsam mit dem israelischen Starkoch Tom Franz, fuhren nach Straßburg, backten Challot oder studierten israelische Volkstänze mit Oren Ashkenazi ein. Die Rebbetzinnen hielten Vorträge. Bei einem «Walkathon» im Grafenberger Wald sammelten die Teilnehmerinnen Spenden für ein Batmizwa-Projekt in Pardes Chana in Israel.
Die Initiatorin ist beeindruckt vom Schwung und Eigenleben, die das Pilotprojekt schnell entwickelt hat. «Ich glaube an die Kraft der Frauen und dass Frauen vieles gemeinsam erreichen können. Wenn wir die jüdische Identität der Frau stärken, stärken wir die Identität der ganzen Familie. Die Batmizwa ist eine Kombination von Lernen und Erleben.»
Für Tanya Rubinstein-Horowitz hat das Ganze auch einen emotionalen Aspekt: «Ich bin jedes Mal von Neuem von dem Gedanken berührt, dass ihr euch zum ersten Mal mit der Tora beschäftigt habt», sagt sie, als die Teilnehmerinnen sich mit einem selbst gedrehten Video bedanken. Ihr Fazit: «Wir haben viel voneinander gelernt. Wir sind eine Familie geworden.»
Begeisterung Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender der mehr als 7000 Mitglieder starken Gemeinde (und Ehemann der Initiatorin), unterstrich: «So ein Projekt mit so einer Begeisterung habe ich noch nicht erlebt.» Für den Gemeindevorstand habe die Initiative eine grundlegend neue Erkenntnis gebracht. «Wir haben vorher gedacht, wenn wir uns auf die Kinder konzentrieren, werden die uns die Familien in die Gemeinde bringen. Das war ein Fehler: Wir hätten direkt an die Frauen denken sollen.»
«Die jüdische Frau hat die Rolle der Determinante der jüdischen Identität.» Oberrabbiner Raphael Evers
Oberrabbiner Raphael Evers freute sich sehr über das Pilotprojekt. Er stellte es in den Kontext jüdischen Lebens durch die Jahrhunderte. «Die jüdische Frau hat die Rolle der Determinante der jüdischen Identität – sie ist der Zement des sozialen Zusammenhalts.» Die soziale Stabilität, die die Frauen bringen, sei für die Gemeinden unverzichtbar. «Die Batmizwa ist kein Selbstzweck, sondern ein Anfang», betonte Evers. Es gehe darum, auch danach weiter zu lernen, jüdisch zu leben und sich weiterzuentwickeln. «Die Gebote der Tora können uns helfen, die Welt besser zu machen.»
Auch außerhalb der Gemeinde fand das Projekt Beachtung. Als Ehrengast kam am Sonntag Vera Geisel, Ehefrau des Düsseldorfer Oberbürgermeisters, dazu. Sie war sichtlich beeindruckt.
Julia und die anderen 74 Teilnehmerinnen wollen auch nach ihrer religiösen Mündigkeit in den Frauengruppen weiterlernen und Gemeinsames erleben. Das Batmizwa-Projekt soll zu einer festen Instanz in der Gemeinde werden und so weiteren Frauen die Möglichkeit geben, ihre jüdische Identität zu entdecken. Die Idee könnte auch in anderen Gemeinden Schule machen.