Ruhig ist es am Montagmorgen vor dem Gemeindezentrum in der Fasanenstraße. Fußgänger schlendern die kleine Straße entlang, Autofahrer suchen Parkplätze, eine Handvoll Menschen steht in fast ehrfürchtiger Entfernung vor dem Tor des Gemeindehauses.
»Jom Haschoa«, »Jeder Mensch hat einen Namen«, ist aus dem Lautsprecher zu hören. Eine Sprechprobe, um das Mikrofon zu testen. Denn das muss heute fehlerfrei funktionieren. Schließlich sollen alle Namen der 55.696 ermordeten Berliner Juden zu hören sein. Bis 23.30 Uhr lesen Schüler, Passanten und Gemeindemitglieder die Namen vor.
Für Timur Mert ist es das vierte Mal, dass er an der Namenslesung, die seit 1996 veranstaltet wird, teilnimmt. Der Schüler des Moses-Mendelsohn-Gymnasiums hat gerade einen kleinen Teil der Namen gelesen, die mit »Ab« beginnen. Nachdenklich geht er von der Bühne. »Hinter jedem Namen steht ein Mensch«, sagt er. Das sei erschreckend. Seine gesamte Klasse wird noch viele Namen vorlesen. Den ersten Namen sprach die Journalistin Lea Rosh an diesem Morgen ins Mikrofon.
Kranzniederlegung Am Abend erinnert die Jüdische Gemeinde mit einer Gedenkveranstaltung an den 71. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto.
Als Redner werden neben dem Gemeindevorsitzenden Gideon Joffe der Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Andreas Gram, der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman und der polnische Botschafter Jerzy Marganski angekündigt. Im Anschluss findet eine Kranzniederlegung am Mahnmal vor dem Gemeindehaus statt.
Der Tag der Schoa ist seit 1951 der Holocaust-Gedenktag in Israel. Wegen des jüdischen Kalenders variiert sein Datum. Er liegt aber immer um den 19. April herum, den Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943.
Damals wehrten sich rund 1100 der insgesamt 60.000 in dem Ghetto lebenden Juden gegen den Abtransport in die nationalsozialistischen Vernichtungslager. Der Aufstand wurde schließlich von den Nazis durch Massenerschießungen und Großbrände niedergeschlagen. epd/kat