Dass Josef Schuster mal sein Leben in Würzburg verbringen würde, war nicht selbstverständlich. Viele Jahre vor seiner Geburt wurden seine Eltern und Großeltern als Juden von den Nationalsozialisten verfolgt und 1938 zur Auswanderung nach Palästina gezwungen, ins spätere Israel. 1954 wurde Schuster dort geboren, in Haifa. Doch als er zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Unterfranken zurück.
Den menschenverachtenden Verbrechen der Nazis zum Trotz wurde Würzburg für Josef Schuster zur Heimat, die er bis heute liebt. Am Mittwoch feiert der Internist und Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland seinen 70. Geburtstag - ohne große Feierlichkeit, aber mit der Familie, wie er der Deutschen Presse-Agentur in München verriet.
Bis zu ihrer Vertreibung durch die Nazis hatten die Schusters gutbürgerlich in Bad Brückenau gelebt. Großvater Julius führte ein Schuhgeschäft und betrieb mit seiner Ehefrau Auguste ein Kurhotel. Vater David war auch Kaufmann. Doch dann kamen die Nazis und begannen ihre systematischen Verbrechen.
»Rücksichtslose Ausbeuter«
»Schon immer sind die beiden Juden Schuster als brutale rücksichtslose Ausbeuter bekannt«, hieß es im Oktober 1937 in einer Aktennotiz der Gestapo. Julius und David Schuster wurden als Betrüger und Blutsauger verunglimpft und kamen ins Konzentrationslager. 15 schreckliche Monate saßen sie in Dachau und Buchenwald und wurden nur unter der Prämisse freigelassen, mit ihrer Familie auszuwandern - unter Aufgabe ihres ganzen Besitzes.
Ein Schicksalsschlag für die Schusters, die in ihrer Heimat so verwurzelt und geachtet waren. Doch nun blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich eine neue Existenz aufzubauen. »Man war einfach glücklich, dass man mit dem Leben davongekommen ist und recht zufrieden«, erinnerte sich David Schuster in Archivaufnahmen, die eine Dokumentation des Bayerischen Rundfunks zeigt.
Er arbeitete sich bei einer Baufirma hoch und heiratete seine Frau Anita. Am 20. März 1954 kam Sohn Josef auf die Welt. 1956 wagte die Familie dann die Rückkehr in die alte Heimat, zwar nicht nach Bad Brückenau, aber nach Würzburg, wo David Schuster später auch Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde wurde.
Gesellschaftliches Klima
»Als mein Vater nach Deutschland zurückkam, war er bereit, die Hand persönlich zur Versöhnung zu reichen«, erinnert sich Josef Schuster. Nur mit Leuten, die ihr Verhalten in der Nazi-Zeit im besten Licht darstellten, konnte er wenig anfangen. »Er konnte sarkastisch werden, wenn Menschen ihm erzählt haben, wie viele Juden sie versteckt haben.«
In diesem Geiste verbrachte Josef Schuster seine Kindheit in Würzburg. »Dafür bin ich meinen Eltern wirklich dankbar. Das hat das ganze Leben vereinfacht. Ich habe eine andere Religion gehabt, aber das hat eigentlich nichts Besonderes ausgemacht, ich war wie meine nichtjüdischen Mitschüler.«
Er erinnert sich gerne an das gesellschaftliche Klima damals: »Ich glaube schon, dass es in den 1960-er Jahren bei dem einen oder anderen ein schlechtes Gewissen gab und eine gewisse Scheu. Es war nicht en vogue zu dem Zeitpunkt, sich antisemitisch zu äußern, da waren der Krieg und die Shoah noch nicht so lang her«.
Rau und aufgeheizt
Jahrzehnte später ist die Stimmung rauer, aufgeheizt und mitunter gewalttätig. »Was wir in den letzten Jahren an fremdenfeindlichen und antisemitischen Worten, aber auch Taten erleben, an Rechtsradikalismus und – wie sich in aller Klarheit nun auch nach dem 7. Oktober zeigte – von islamistischer Seite, das habe ich mir in der Form nicht vorstellen können«, sagt Schuster, der im Deutschen Ethikrat sitzt und Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress ist.
Die Zahl der Menschen mit Vorurteilen gegen Juden sei nicht gewachsen, die liege in Umfragen immer ungefähr gleich bei 19 bis 21 Prozent. »Aber man traut sich wieder, Sachen zu sagen, die man sich lange nicht getraut hat.«
Droht eine Auswanderungswelle von jüdischen Menschen? Das glaubt Schuster nicht, aber »ich habe das Gefühl, dass der eine oder andere schon mal guckt, wo er den leeren Koffer hingestellt hat«. Doch wohin ausreisen - seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und den Kämpfen, die seitdem toben?
Zerstörtes Weltbild
»Der Krieg hat bei vielen jüdischen Menschen weltweit das Weltbild zerstört. Israel hat in seinem Grundgesetz festgeschrieben, dass jeder Jude zu jedem Zeitpunkt nach Israel einwandern darf, Israel ist ein sicherer Hafen«, erklärt Schuster. Das sei ein Gefühl der Lebensversicherung. »Wenn es Israel in den 1930er-Jahren gegeben hätte, wäre es nicht zur Shoah gekommen.«
Bis nach Deutschland schwappt der Konflikt. »Ich habe nichts gegen Solidaritäts-Demonstrationen mit der palästinensischen Zivilbevölkerung. Ich verstehe jeden, der für ein Ende des Leids der Menschen im Gazastreifen demonstriert und sich für Menschenwürde einsetzt«, stellt Schuster klar, zieht aber eine Grenze: »Was es in dem Zusammenhang an antisemitischen Ressentiments und an Terrorverherrlichung gibt, das hat das Maß dessen überschritten, was man akzeptieren darf und kann.«
Erfülltes Berufsleben
Konsequent deshalb Schusters Wünsche: »Ich hoffe sehr, dass das, was wir derzeit an Antisemitismus sehen, egal von welcher Seite, sich nicht weiterentwickelt. Und dass eine rechtsextreme Partei wie die AfD deutlicher als bisher in ihre Schranken verwiesen wird«, sagt er mit Blick auf die Prognosen für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, wo die AfD jüngst an der Spitze lag. Dass Hunderttausende gegen Rechtsextremismus demonstrierten, stimme ihn optimistisch.
Ansonsten sei er wunschlos glücklich: »Ich hatte ein erfülltes Berufsleben. Die Familie ist gesund, unser Verhältnis zueinander ist völlig intakt und wir sind von schweren Schicksalsschlägen verschont, insoweit geht es mir gut«.