von Wladimir Struminski
Zum Thema Krieg äußert sich Machmud ungern. »Krieg ist immer schlecht«, sagt der junge Mann aus einem israelisch-arabischen Dorf bei Jerusalem. »Im Krieg leiden alle«, erklärt der Mitarbeiter eines jüdischen Supermarktes. »Ich sehe die Leute aus dem Norden, die bei meinen jüdischen Kollegen Unterschlupf gefunden haben, und ich habe Mitleid mit ihnen. Ich sehe die Bilder der Zerstörung aus Galiläa. Aber ich sehe auch, was Israel im Libanon anrichtet. Das ist völlig übertrieben.« Was er von der Hisbollah hält? Machmud zögert. »Nasrallah ist verrückt«, zuckt er schließlich mit den Schultern. Eine diplomatische Antwort, die den Anführer der Schiitenmiliz aus dem Nachbarland zwar kritisiert, vor einer totalen Verdammung der Organisation jedoch halt macht. Machmud ist nicht der einzige, der in diesem Krieg um die richtigen Worte ringt. »Eine Million Menschen ist verwirrt«, urteilte die Tageszeitung Haaretz über die Stimmungslage der arabischen Israelis – knapp ein Siebtel aller Bürger des jüdischen Staates.
Die Zielsetzung der Hisbollah, Israel zu vernichten, wird im arabischen Sektor allenfalls von einer kleinen, radikalen Randgruppe von Islamisten und Nationalisten geteilt. Deshalb erkennt das Gros der israelischen Araber an, daß Israel zu Unrecht angegriffen wurde. Hinzu kommt, daß Israels Kriegsgegner diesmal nicht die Palästinenser, sondern Libanesen sind, mit denen sich die israelischen Araber nicht ganz so stark identifizieren. Auch die Religion spielt eine Rolle. Drusen und israelisch-arabische Christen sind Angehörige arabischer Minderheiten, die auf eine lange Geschichte religiöser Verfolgung durch den Islam zurückblicken. Allerdings stößt der schiitische Islamismus der Hisbollah und ihrer iranischen Mäzene auch unter sunnitischen Moslems, zu denen die israelischen Araber gehören, auf Vorbehalte.
Die Abneigung gegen die Hisbollah hat aber einen weiteren, gewichtigen Grund: Unter den israelischen Toten und Verwundeten der Raketenschützen befinden sich viele Araber. Bisher haben dreizehn israelische Araber, Moslems, Drusen und Christen, ihr Leben verloren, davon neun allein am vergangenen Wochenende. Zu den Toten gehören auch Kinder und Jugendliche: Machmud und Rabija Talussi aus Nazareth, drei und acht Jahre alt, die fünfzehnjährige Da’a Abbas aus dem Dorf Mrar sowie Muhammad Fa’ur, siebzehn und seine beiden achtzehnjährigen Freunde Amir Na’im und Schanati Schanati aus Tarschicha. Da helfen Beteuerungen der Hisbollah, man habe die arabischen Brüder im besetzten Palästina nicht absichtlich ins Visier genommen, nur bedingt. Unumwunden erklärte Adnan Na’im, ein Cousin des Raketenopfers Amir im israelischen Fernsehen: »Ich möchte den Ministerpräsidenten und den Verteidigungsminister bestärken und rufe sie auf, die militärische Mission (im Libanon) konsequent durchzuführen. Nasrallah ist der Chef einer Terrororganisation und sollte liquidiert werden.« Gewiß, in ihrer Schärfe sind solche Worte, zumal in der moslemischen Gesellschaft, ungewohnt, und es gibt auch Gegenbeispiele. Nach dem Tod seiner Söhne erklärte Abir Talussi, Machmuds und Rabijas Vater, er sei »auf niemanden zornig«. Gleichwohl: Besonders populär ist die Hisbollah im arabischen Galiläa nicht. Im raketengeplagten Madsch El-Krum fand sogar eine Demonstration gegen die gewalt-
tätige Miliz statt.
Auf der anderen Seite spielt die panarabische Solidarität selbst unter diesen Umständen noch eine beträchtliche Rolle. Die meisten israelischen Araber halten das Vorgehen der Streitkräfte im Libanon für unverhältnismäßig und gehen mit den massiven Angriffen der Luftwaffe im Nachbar-
land ins Gericht. Die Kritiker werden durch die politische Führung der arabischen Bevölkerung weiter angestachelt. Bei einer Knessetdebatte über den Hisbollah-Krieg beschimpften arabische Knessetabgeordnete Verteidigungsminister Amir Peretz als »Mörder«. Solche Vorfälle heizen die ohnehin gespannte Atmosphäre zusätzlich an.
Zudem lasten viele Araber die in ihren Reihen angefallenen Opfer auch der jahrzehntelangen Vernachlässigung durch die israelische Regierung an: Wegen ungenügender öffentlicher Investitionen und mangelnder staatlicher Fürsorge gibt es in arabischen Ortschaften nämlich nicht genügend Luftschutzräume. Da die Bauweise vieler Häuser nicht besonders robust ist, sind Zufluchtsorte bei Luftalarm Mangelware. So brechen dieser Tage alte Wunden auf. »Wenn die Sirenen heulen, gehen wir ins Erdgeschoß«, erzählt verbittert ein Bewohner von Mrar. In Ermangelung eines nahegelegenen Luftschutzraums ist das der sicherste Platz im ganzen Haus. Da ist es kein Wunder, daß mit jedem Toten nicht nur die Kritik an der Hisbollah, sondern auch der Zorn auf die Regierung steigt.
Unter dem Strich, konstatiert der israelische Historiker und Medienwissenschaftler Mustafa Kaba, sei die arabische Bevölkerung im Sommer 2006 wie selten zuvor hin- und hergerissen. »Man identifiziert sich mit dem Leid auf beiden Seiten«, erklärte der Dozent der Offenen Universität in Raanana gegenüber der Jüdischen Allgemeinen. Zugleich aber sieht der Forscher den Ansatzpunkt für eine Wende zum Besseren. Trotz der Spannungen schaffe das gemeinsame Schicksal, das Juden und Araber dieser Tage durchleben, seiner Überzeugung nach die Grundlage für bessere Beziehungen zwischen den beiden Volksgruppen – »falls die Regierung diese Chance nutzt und auf die arabischen Bürger zugeht«.