von Olaf Glöckner
Wenn dieser Tage zu Rosch Haschana der Schofar ertönt, ist Berlins Gemeinde um zwei neue Gotteshäuser reicher: die kunstvoll sanierte Synagoge Rykestraße im Stadtteil Prenzlauer Berg und das in Rekordzeit errichtete Bildungszentrum von Chabad Lubawitsch in der Münsterschen Straße in Wilmersdorf. Zwei Häuser, deren Orientierung und Image unterschiedlicher kaum ausfallen könnte – und die doch gemeinsam das neue, selbstbewusste Berliner Judentum verkörpern. Am Wochenende feierten sie Eröffnung, und die Hauptstadt feierte begeistert mit.
Freitagmittag, Synagoge Rykestraße: Im neo-romanischen Prachtbau – ursprünglich erbaut im Jahre 1904 – ist keiner der knapp 1.200 Sitzplätze frei geblieben. Gemeindevorstände, Zentralratsmitglieder, Spitzenpolitiker und Gäste aus aller Welt bestaunen die nach Plänen von Ruth Golan und Kay Zareh renovierten Sandsteinpfeiler, floralen Decken- und Wandmotive und ornamentierten Fenster. Vorgetragen vom Rundfunkchor Berlin, erklingen liturgische Gesänge wie die Deutsche Keduscha von Louis Lewandowski – hier ganz selbstverständlich mit Orgelbegleitung. Liberaler geht es nicht. Doch das Publikum hält den Atem an, als der vitale 95-jährige Reformrabbiner Leo Trepp, Holocaustüberlebender und seither Deutsch-Amerikaner, sich mit durchdringender Stimme erin-
nert: »Ich habe vor 70 Jahren in dieser Synagoge gepredigt, und die Gottesdienstbeteiligung war ziemlich gut.« Trepp versichert den Gästen, dass Gott auch heute in diesem Hause und unter seinen Betern wohnen will.
»Wir werden ab heute Abend hier wieder regelmäßig beten«, verkündet der sichtlich bewegte Gabbai Hermann Simon. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, beglückwünscht die Hauptstadt zur Synagoge als neuem »Juwel«. Rabbiner Chaim Rozwaski spricht von der Wiedereröffnung als einem »historischen Wunder«.
Dieses »Wunder« setzt sich am Sonntagmittag fort, als Rabbiner Yehuda Teichtal und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier das Eröffnungsband für das neue Bildungszentrum zerschneiden. Auch hier ein internationales Stelldichein von Rabbinern, Polit- und Wirtschaftsprominenz, und auffällig vielen jungen Familien. Steinmeier erinnert an Paul Spiegels Vision von der Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland: »Wir freuen uns über dieses Gemeindezentrum von Chabad Lubawitsch, das jüdische Bildung und Kultur als Teil deutscher Wirklichkeit wieder festigen wird.«
Rabbiner Moshe Kotlarsky vom Lubawitscher Hauptquartier in New York ruft mit gewaltiger Stimme in die von Stararchitekt Sergej Tchoban entworfene Synagoge: »This house is yours. Come and knock at the door!« Dann ergreift Tel Avivs Oberrabbiner Israel Meir Lau das Wort. Ein Mann, der als Kind im KZ Buchenwald inhaftiert war und mehr als 60 Jahre später konstatiert: »Dies ist ein historischer Tag, denn an diesem 2. September 2007 ist die Endlösung endgültig gescheitert. Wir demonstrieren die Ewigkeit, die Unsterblichkeit und die Kontinuität des jüdischen Volkes.« Fünf Rabbiner schreiben die letzten Buchstaben einer neuen Torarolle. Feierliche Stille, dann ertönt der Schofar.
Minuten später begeistert der chassidische Popstar Avraham Fried mit seiner Band draußen vor der Tür das Publikum. Jung und Alt tanzen sich durch ein mehrstündiges, von der Hans Wall AG und anderen Sponsoren unterstütztes Straßenfest. »Heute wird gefeiert und bald wieder studiert«, bemerkt Rabbiner Teichtal am Rande. Wie er ankündigt, soll eine ins Bildungszentrum integrierte Jeschiwa in absehbarer Zeit jährlich zehn Rabbiner ausbilden. Das Wunder der Renaissance jüdischen Lebens in Berlin könnte sich also fortsetzen.