Ich möchte heute über ein Thema sprechen, das ziemlich heikel ist. Die Gefahr ist groß, daran zu scheitern. Die Rede ist von »Erotik im Kidduschraum«. Ich bin kein Rabbiner und auch nicht Ruth Westheimer. Trotzdem will ich über das Tabuthema Nummer 1 schreiben. Nun ja, vielleicht werden Sie gegen Ende des Artikels sehen, dass ich mit »Erotik« ein bisschen dick aufgetragen habe. Was soll’s. Lassen Sie sich jetzt von mir verführen.
Unsere Weisen haben im Tempel und später in den Synagogen die Frauen aus dem Blickfeld der Männer entfernt. Der Grund für die Trennung war die Ablenkung vom Gebet. Man kann Gott nicht aus tiefstem Herzen anflehen, wenn nebenan ein tiefes Dekolleté lacht. Seit dieser Erkenntnis sitzen die verführerischen Frauen oben in der Synagoge hinter engmaschigem Gitter. Oder im Nebenraum. Oder irgendwo, wo sie uns Männer nicht ablenken.
In einigen orthodoxen Synagogen würde man selbst mit einer Wärmebildkamera keine Frauen erkennen können. In anderen Gotteshäusern sind die Frauen eher neckisch versteckt, und man könnte (theoretisch) schöne Beine betrachten.
Ein Schabbat-Gottesdienst dauert aber in fast jeder Synagoge knapp drei Stunden. In dieser Zeit befindet man sich nur unter Männern. Nach zwei Stunden denkt man irgendwann einmal an Frauen. Das ist normal. Religiöse Eiferer fassen sich dann an den Kopf und versuchen, die sündhaften Gedanken fernzuhalten. Andere gehen auf Toilette.
Ich war 16 und zum ersten Mal so richtig schön verliebt. Sie hieß Madeleine. Madeleine! Schwarze Haare, krumme Nase, reiche Eltern. Sie sah gut aus. Darf ich hier »geil« sagen? Sie sah geil aus. Oh ja. Mhm. Ich sah übrigens hässlich aus. Wie man mit 16 halt aussieht, wenn Akne voll zuschlägt. Aber La Madeleine ...
Ich liebte sie wirklich. Ich kannte sie nur aus der Synagoge. Madeleine kam am Schabbat nämlich immer in unser Bethaus. Sie saß oben links. Wegen des blöden Gitters konnte ich nur ein Viertel von ihr sehen. Dummerweise betete sie häufig hinter einer Säule. Zusammengerechnet sah ich von meinem Platz etwa 1/10 Madeleine. Das reichte mir nicht.
Der einzige Ort, wo ich sie ganz sehen konnte, war der Kidduschraum. Madeleine ging immer mit ihrer Mutter zehn Minuten vor Gebetsende nach unten, um den Kiddusch vorzubereiten. Jeden Schabbat fand ich eine Erklärung, ebenfalls im Zimmer zu sein: Mal musste ich den Wasserhahn prüfen, mal die Servietten nachzählen, und wenn mir nichts einfiel, erklärte ich den verdutzten Damen, ich müsse die Siddurim vom Staub befreien.
Madeleine warf mir jedes Mal einen sehnsuchtsvollen Blick zu. Ich interpretierte ihn mit »Ich bin heiß auf dich!« oder »Wären wir doch allein – hier und jetzt!« Mag sein, dass ich mir das alles einbildete, aber diese zwei Sekunden machten das lange Schabbat-Gebet wieder wett. Da ich erst 16 war, wusste ich nicht, was man jetzt machen muss. Hochrot ging ich dann in den Gebetsraum zurück.
Richtig Schluss habe ich mit Madeleine nie gemacht. Denn wir haben nie wirklich begonnen. Unsere Beziehung dauerte ja immer nur zwei Sekunden. Irgend- wann brachte die Schlampe einen nichtjüdischen Freund in die Synagoge. Das war’s dann für mich gewesen.
Inzwischen bin ich glücklich verheiratet und sie hoffentlich auch. Seit ihren Sehnsuchtsblicken sind über 15 Jahre vergangen. Aber jedes Mal wenn ich einen Kidduschraum betrete, fühle ich wieder das »Feuer« in mir brennen. Beni Frenkel
kiddusch