von Christian Schiele
Sie haben lange darauf gewartet, jetzt ist es so weit: Im schwarzen Anzug, weißem Hemd, Krawatte und Hut stehen sie vor dem Toraschrein. Avraham Radbil und Zsolt Balla lächeln voller Stolz, als sie von Rabbiner Chanoch Ehrentreu ihre Smicha entgegennehmen. Der Rektor des Rabbinerseminars zu Berlin erteilt ihnen den Priestersegen und überreicht mit Handschlag die Urkunden: »Möget ihr Erfolg haben in eurer Zukunft als Rabbiner, in eurer Liebe und Leidenschaft für die Tora, dass ihr auch andere inspirieren möget, die wahren Werte im Leben kennenzulernen. Und möge die göttliche Gegenwart die Arbeit eurer Hände begleiten.« Damit sind sie jetzt ganz offiziell Rabbiner. Für die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) verkündet Münchens Gemeinderabbiner Steven Langnas dann noch die offizielle Anerkennung dieses Aktes und die sofortige Aufnahme der beiden in die rabbinische Gemeinschaft. Die Besucher in der gut gefüllten Münchner Synagoge Ohel Jakob klatschen Beifall.
Was hier an diesem Dienstag groß gefeiert wird, wäre in Jerusalem oder New York ein ganz normaler religiöser Akt. Doch in Deutschland ist es viel mehr als das. Nach mehr als 70 Jahren werden wieder orthodoxe Rabbiner ordiniert, die teilweise hierzulande ausgebildet wurden und auch hier tätig werden. Das Judentum in Deutschland wiederzubeleben – in diesem Moment ist das keine Vision, sondern Wirklichkeit.
Für Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist es sogar »ein kleines Wunder«. Sie sei glücklich, in der Ohel Jakob Synagoge, die vor zweieinhalb Jahren eingeweiht wurde, nun »die erste orthodoxe Rabbinerordination nach 1945« feiern zu können. Das vervollständige die Rückkehr des Judentums nach Deutschland – und es sei auch ein Sieg über die Nazis. »Die jüdische Infrastruktur, die seit einiger Zeit an vielen Orten in der Bundesrepublik entsteht, bekommt nun einen stabilen geistigen Unterbau«. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble würdigt in seinem Grußwort die Ordination als »theologisches Ereignis, das weit über die Grenzen des Judentums in Deutschland hinausgeht«. Die Bundesregierung unterstütze die Arbeit des Seminars und betrachte den Zuzug jüdischer Mitbürger nach Deutschland sowie die Wiederkehr jüdischen Lebens nach dem Holocaust als Geschenk, betont er. Die Worte treffen in der Synagoge auf prominente Ohren. Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, und Rabbiner Yosef Sitruk, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, sind nur zwei der vielen hohen Vertreter des Judentums, die der Ordination beiwohnen. Dies zeige, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland »wieder einen akzeptierten Platz in der Gemeinschaft der jüdischen Familie« einnehme, sagt Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden.
Doch die eigentlichen Stars des Tages sind die beiden frisch ordinierten Rabbiner Zsolt Balla, der 2003 aus Ungarn nach Deutschland kam, und der aus der Ukraine stammende Avraham Radbil (vgl. JA vom 28. Mai). Sie sind die ersten Absolventen des 2005 von der Lauder Foundation und dem Zentralrat der Juden wiedergegründeten Rabbinerseminars zu Berlin. Die Ausbildungsstätte sieht sich in der Tradition des Hildesheimerschen Rabbinerseminars, das Esriel Hildesheimer 1869 in Berlin gegründet hatte. Bis zu seiner Zwangsschließung nach der Pogromnacht 1938 wurden dort mehr als 600 Studenten ausgebildet.
Zur feierlichen Ordination ist auch der Urenkel des vor 120 Jahren verstorbenen Gründers des Rabbinerseminars Rabbiner Azaria Hildesheimer gekommen. Er erinnert daran, mit welchen Worten sein Urgroßvater damals die Schüler entließ: »Gehe auf deinen Wegen, aber erkenne dabei immer deinen Schöpfer.« Den gleichen Segen wolle er den beiden jungen Rabbinern mitgeben, die an diesem Tag an die vor 70 Jahren unterbrochene Tradition anknüpfen: »Als neue Gelehrte schließen sie sich ihren Vorgängern an und werden den Weg des jüdischen Lebens gehen, die Tora zu verbreiten und zu verherrlichen.«
Drei Jahre lang lernten Balla und Radbil in der Berliner Brunnenstraße das Handwerkszeug eines orthodoxen Gemeinderabbiners. Dafür bedanken sie sich nach ihrer Segnung. Mehrfach fallen dabei auch die Namen von Rabbiner Josh Spinner, dem Gründer des heutigen Seminars, und von Roman Skoblo, der die Lauder-Aktivitäten in Berlin großzügig unterstützt. Avraham Radbil richtet seine Worte an alle, »die gemeinsam diesen Tag möglich gemacht haben«. Und Zsolt Balla singt Psalm 116, begleitet von einer Gitarre.
Sorgen um einen Arbeitsplatz müssen sich die Jung-Rabbiner nicht machen. Die jüdische Gemeinde Deutschlands ist die drittgrößte in Europa. Entsprechend gut sind die Berufsaussichten der beiden. Wo sie wirken werden, steht auch schon längst fest: Der studierte Wirtschaftsingenieur Zsolt Balla beginnt seine Karriere als Wochenendrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig. Avraham Radbil zieht nach der Ordination mit Frau und Sohn nach Köln, wo er die Stelle des Assistenzrabbiners antritt.
(Mitarbeit: Detlef David Kauschke)