von Matilda Jordanova-Duda
Eine Universitätsstadt zieht unweigerlich Intellektuelle an, erst recht die Stadt mit der ältesten deutschen Universität, Heidelberg. Es waren nach dem Krieg unter anderem Überlebende der Konzentrationslager, die in Heidelberg studierten. Mit ihnen erfuhr auch die jüdische Gemeinde einen Neuanfang. In den 70ern luden jüdische Studentengruppen Vertreter aus Politik, Kultur und Gesellschaft zu heißen politischen Diskussionen ein. Mit der Zuwande- rung russischsprechender Juden in den 90er-Jahren bekam die Gemeinde ein neues Gesicht. Auch die Neumitglieder aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wa- ren zumeist Akademiker, doch problemlos verlief die Annäherung mit den Alteinge- sessenen nicht.
Die Neuzuwanderer sahen sich in ihren Erwartungen enttäuscht: In ihren alten Berufen konnten sie nicht mehr arbeiten. »Vor allem Menschen über 40 haben ein Problem auf dem Arbeitsmarkt«, erzählt die Sozialarbeiterin, Nataliya Vronska. Sprach- schwierigkeiten und berufliche Ausbildung entsprachen nicht den deutschen Anforde- rungen. Lehrer und Ärzte hätten kaum eine Chance, eine entsprechende Arbeitsstelle zu finden. Für Ingenieure sehe es etwas besser aus, sagt Vronska. Sie vertraue auf die Integrationsprojekte, bei denen die Gemeinde von der Landesstiftung Baden-Württemberg und der Stadt unterstützt werde. Nach erfolgreich absolviertem Sprachkurs werden die Zuwanderer in ein Praktikum vermittelt. Das könne für einige wenige in ein festes Arbeitsverhältnis übergehen.
»Es gibt keinen Königsweg«, bedauert auch der für Familie, Kultur und Soziales zuständige Heidelberger Bürgermeister Joachim Gerner. Die Stadt entscheide nicht über die Anerkennung von Berufsab- schlüssen, bedauert das Stadtoberhaupt, das der jüdischen Gemeinde jegliche Unterstützung zusagt, etwa beim Bau eines Kindergartens. »Wir sind bereit und wenn es seitens der Gemeinde akut wird, können wir sofort beginnen«, signalisiert der Bür germeister.
Rosa Friedman ist mit 85 eines der ältesten Mitglieder der Heidelberger Gemeinde. Als langjährige Vorsitzende hat sie die Veränderungen miterlebt. »Es hat sich vieles geändert, seit die ersten zwei Familien aus der damaligen Sowjetunion 1989 hierher zogen«, erinnert sich die agile Seniorin. »Die Neuen litten unter Heimweh, fanden keine Arbeit und keine Wohnungen und waren sehr unglücklich.« Friedman half ihnen bei Behördengängen und suchte Wohnungen für sie. Die Mühe habe sich gelohnt. »Jetzt sind alle zufrieden.« Anfangs gab es auch Spannungen zwischen den Alteingesessenen und den Zugewanderten. »Viele von uns können mit Russisch nichts anfangen und gehen nach Mannheim in die Gemeinde«, erzählt Friedman. Dann gab es Ärger, dass die Zuwanderer die russischen Feiertage pflegten, ohne die jüdischen zu beachten. Aber das seien jetzt nur noch Einzelne, und die Spannungen hätten sich fast gelegt, sagt die 85-Jährige.
Vor 15 Jahren auf dem Höhepunkt der Zuwanderungswelle wurde das neue Ge- meindezentrum errichtet. Auch das verlief nicht ganz reibungslos. Ein Jahr lang stritten orthodoxe und liberale Gemeindemit- glieder um die Sitzordnung. Am Ende setzten sich die Orthodoxen durch: Frauen sitzen während des Gottesdienstes auf der Empore, die Männer unten. Die Gemeinde ist heute traditionell orthodox. Es gibt im Haus eine koschere Küche und eine gut genutzte Mikwe. »Wir haben einen hohen Anteil an traditionell Lebenden«, erklärt Kantor Janosch Pawelczyk-Kissin.
Das gesellschaftliche und das religiöse Leben hat sich beruhigt und normalisiert, Ende Januar feierte man gemeinsam 15 Jahre Gemeindezentrum. Die Zuwanderer machen inzwischen 90 Prozent der Mitglieder aus, und stellen die meisten Mitglieder im Vorstand. Und wie überall in Deutschland sind es vor allem die Älteren, die sich freiwillig engagieren.
In der Altersgruppe bis 20 Jahre zählt Jugenddezernentin Halyna Dohayman lediglich 30 Kinder und Jugendliche, die regelmäßig zum Religions- und Hebräisch- unterricht, zum Singen, Basteln, Tanzen und Theaterspielen ins Jugendzentrum kommen. Zu den Veranstaltungen kämen auch schon einmal doppelt so viele.
Junge Erwachsenen sind hingegen selten in der Gemeinde zu finden. Viele Jahre habe es kaum Beziehungen zwischen der jüdischen Gemeinde und den Hochschulen in der Stadt gegeben, monieren Gemeinde- vertreter. Ein Grund sei wohl darin zu finden, dass diese Kontakte zur Universität vor allem von Einzelpersonen gepflegt wurden. Doch seit einem Jahr ginge es wieder aufwärts. Im Dezember 2007 hat sich der Bund jüdischer Studenten Baden (BJSB) neu gegründet. Jetzt lobt Dohayman die Hochschüler über den grünen Klee: »Es sind ganz aktive Leute, und wir planen vieles zusammen.« Zum Studenten-Schabbat im vergangenen Jahr seien 40 junge Menschen aus ganz Baden gekommen, ebenso zu großen Gemeindefeiern, der Anfang zur alten Tradition sei gemacht.