von Michael Guggenheimer
Ralph Linden aus London steht vor dem Grab seiner Ururgroßmutter auf dem jüdischen Friedhof am Ortsende von Hohenems. Hier hat die 1820 geborene Jeannette Weil 1900 ihre letzte Ruhestätte gefunden. Ralph Linden, der in Italien geboren wurde, in Israel aufwuchs und in den USA arbeitete, ist zum ersten Mal in Hohen-ems. Als er vor einem Jahr in einer englischen Zeitung von der Existenz eines jüdischen Museums in Hohenems las, nahm er Kontakt mit dem Museum auf, um der Geschichte seiner Vorfahren nachzugehen. Rabbinerin Lisa Goldstein aus San Diego in Kalifornien ist gekommen, um der Geschichte ihres Urgroßvaters nachzugehen. Louis Weil wurde als einer der ersten verfolgten österreichischen Kom-munisten 1937 im Konzentrationslager Dachau ermordet.
Ralph Linden und Lisa Goldstein gehören zu den 130 Personen, die zur »Reunion 2008«, dem zweiten »Nachkommentreffen jüdischer Familien aus Hohenems«, am vergangenen Wochenende in den Vorarlberg gekommen sind, um auf den Spuren ihrer jüdischen Vorfahren zu wandeln. Organi-siert wird das Treffen vom Jüdischen Museum Hohenems, das ausführlich die Geschichte der Hohenemser Juden dokumentiert hat.
Hohenems war früher die einzige Ortschaft im Vorarlberg, in der sich Juden niederlassen durften. In der Mitte des 19. Jahrhunderts lebten über 500 Juden in der heute 15.000 Einwohner zählenden Stadt. Eine jüdische Schule, ein Ritualbad, ein jüdisches Altersheim, ein jüdischer Gasthof, ein jüdischer Friedhof und mehrere koschere Metzgereien gehörten zum Stadtbild. Als Mitte der 1860er-Jahre die Schweiz den Juden die Niederlassung erlaubte, zogen zahlreiche jüdische Familien weg nach St. Gallen, wo damals Textilhandel und
-industrie blühten. Mit der Judenverfolgung des Dritten Reichs endete das jüdische Leben in Hohenems.
Francis Wahle, Nachkomme einer jüdischen Hohenemser Familie, lebt in London. Als er im Alter von acht Jahren mit einem der Kindertransporte gemeinsam mit seiner Schwester Wien verlassen konnte, wusste der Junge nichts von seinem Judentum, obschon seine Eltern beide jüdischer Herkunft waren. In England studierte er Wirtschaft. Im Alter von 30 entschied er sich »aus Dankbarkeit für die Rettung«, katholische Theologie zu studieren. Nach seinem Studium in Rom wurde er katholischer Pfarrer an der Westminster Cathedral in London. »Meine Mutter stammt aus Hohenems und ist auf dem jüdischen Friedhof begraben«, begründet er seine Teilnahme an der Zusammenkunft der Nachfahren jüdischer Familien. »Die Vergangenheit als lebendige Geschichte interessiert mich. Ich bin Teil einer großen Familie, die ihren Ursprung in Hohenems hat«.
Die meisten Teilnehmer des Nachkommen-Treffens »Reunion 2008« sind nicht mehr jüdisch. Sue Shimer aus den USA, deren Vorfahren die Vorarlberger Stadt 1867 verlassen haben, ist etwas anderes auch wichtiger: »Die Unterschiede, die unter uns Nachkommen feststellbar sind, sind bereichernd. Uns ist die Herkunft aus Hohenems gemeinsam und die Toleranz, mit der wir einander begegnen.«