Kinderfahrrad

Zur Aufbewahrung gegeben

von Constantin
Graf Hoensbroech

Seit Jahren diskutiert Köln über ein jüdisches Museum. Entwürfe sind vorgelegt, Standortfragen geklärt und wieder verworfen worden. Um die Bestückung eines solchen Museums brauchen sich die Initiatoren offensichtlich keine Sorgen zu machen. Das neueste Stück ist ein Kinderfahrrad, das offensichtlich aus den 30er-Jahren stammt und höchstwahrscheinlich einem jüdischen Kind gehörte.
Erst jetzt wurde bekannt, dass vor zwei Jahren ein älterer Mann dem Kunst- und Antiquitätenhändler Engelbert Pauls mit den Worten: »Ich habe lange genug gewartet, aber mein jüdischer Freund kommt wohl nicht mehr zurück« ein Kinderfahrrad überreichte. Bei ihm sei es gut aufgehoben, habe der Mann noch hinzugefügt und den Laden an der Neusser Klarissenstraße verlassen. Das Zweirad war sorgsam in Zeitungspapier eingewickelt.
»Ich weiß nicht, wer der ältere Herr gewesen ist, und ich weiß leider auch nicht, was das Fahrrad für eine Geschichte zu erzählen hat«, erzählt Engelbert Pauls heute. Den Mann schätze er auf »sicherlich 80 Jahre«. Die inzwischen vergilbten, aber noch gut lesbaren Seiten sind die Reste der Morgenausgabe einer Stuttgarter Zeitung vom 17. August 1936. An der Fahrradgabel befindet sich ein hessisches Landeswappen mit einem Löwen, der einen Maulschlüssel in einer Pranke hält. Darunter steht der Namenszug »Stackenburg«, eine Burg in der Nähe von Heppenheim – oder der Name des Herstellers? Über dem Wappen ist ein kleiner Davidstern mit zwei kaum zu entziffernden Initialen zu erkennen.
Wie kam dieses Fahrrad nach Neuss? Das fragt sich auch Engelbert Pauls, der sich unter anderem auf Judaica – schriftliche, kunsthandwerkliche oder rituelle Gegenstände jüdischer Provenienz – spezialisiert hat. Deshalb habe er seinerzeit auch das Fahrrad erhalten, erinnert sich der Neusser an den Besuch des älteren Herrn. »Der Vater seines Freundes sei Apotheker gewesen, hat er noch gesagt.«
Ob es sich um eine Familie aus Neuss gehandelt hat, die Mitglied der jüdischen Gemeinde an der Promenadenstraße ge- wesen ist? Sicher scheint, dass das Fahrrad aus einer finanziell gut gestellten Familie stammt. Das Rad sei ein ganz besonderes und teures für ein Kind in dieser Zeit gewesen, stellt Pauls nachdenklich fest. Vielleicht musste die Familie, die das Rad dem Freund zur Aufbewahrung überlassen hatte, emigrieren. Die akkurate Verpackung in die Zeitung von 1936 legt das nahe. Die Deportationen von Juden begannen erst 1941.
Mittlerweile steht das Rad in Köln bei Helmut Fußbroich. Der ist ein Freund von Max Tauch, dem ehemaligen Chef des Clemens-Sels-Museums. Tauch hatte den ihm gut bekannten Pauls darauf hingewiesen, dass Fußbroich als Geschäftsführer des Kölner Vereins tätig ist, der in der Domstadt ein »Haus und Museum der jüdischen Kultur« errichten will. Der Geschäftsführer will nun mit Hilfe eines Papierrestaurators die Zeitung, in der das Fahrrad eingewickelt ist, sichern. Außerdem hat er sich an das Deutsche Fahrradmuseum in Bad Brückenau in der Hoffnung gewandt, Informationen über den Hersteller solcher Räder zu erhalten.
Wie sein bislang unbekannter Kunde ist Kunsthändler Pauls zunächst einmal erleichtert, dass das Fahrrad nun gut untergebracht ist und möglicherweise zu den Ausstellungsstücken des geplanten Museums gehören wird. Vielleicht lässt sich bis zu dessen Eröffnung die noch weitgehend unbekannte Geschichte des Zweirads und seiner vormaligen Besitzer klären.

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025

Weimar

Historiker Wagner sieht schwindendes Bewusstsein für NS-Verbrechen

Wagner betonte, wie wichtig es sei, sich im Alltag »gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Muslimfeindlichkeit und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu engagieren

 07.04.2025