von Barbara Goldberg
Von einem »verheerenden Ineinander von Opfer- und Tätergeschichte« spricht Hans-Peter Niebuhr, Vorsitzender der Frankfurter Initiative 9. November, wenn er den »toten Ort« an der Friedberger Anlage der Mainmetropole charakterisieren will – jenes Areal im Windschatten einer Schnellstraße, auf dem dieser Koloss aus Beton, ein Hochbunker, abweisend aufragt. 1942 hatten ihn Zwangsarbeiter auf den Fundamenten der zerstörten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG) erbaut.
Seit 20 Jahren versuchen die 40 Mitglieder der Initiative 9. November, diesen Ort zum Sprechen zu bringen, versuchen, die »geteilte Erinnerung«, wie es der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, einmal nannte, die nirgendwo so scharf voneinander getrennt und gleichzeitig so nah beieinander liegt wie hier, zum Leben zu erwecken. Das ist mit der Ausstellung »Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel«, die seit vier Jahren im Erdgeschoss des Bunkers zu besichtigen ist, bereits schon einmal gelungen. Doch jetzt sieht sich die Initiative vor einer neuen Herausforderung. Denn demnächst wird der Bunker seine Aufgabe im Zivilschutz verlieren. Und was soll dann mit ihm geschehen? Die Stadt Frankfurt möchte das Gebäude für einen symbolischen Preis vom Bund erwerben und als Gedenkstätte bewahren.
Wie das neue Nutzungskonzept aussehen soll, wollte die Initiative am vergangenen Sonntag bei ihrem Symposium »Erinnerung braucht Zukunft« herausfinden. Eingeladen waren unter anderem Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums in Berlin, der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik und der Historiker und Publizist Hannes Heer aus Hamburg. In einer zweiten Runde diskutierten die Architekten Wolfgang Lorch, Nikolaus Hirsch und DW Dreysse darüber, welche neue Gestaltung man dem Areal künftig geben könnte. Lorch und Hirsch haben mit ihren Entwürfen etwa des Neuen Börneplatzes in Frankfurt sowie den beiden Synagogenbauten in Dresden und München Aufsehen erregt. Als Diskussionsgrundlage präsentierte Dreysse seinen Vorschlag einer Neugestaltung, in den die Vorstellungen und Pläne der Initiative eingegangen sind. So will er die feindselig-düstere Hermetik des Gebäudes mit Hilfe eines »Lichtkeils« aufbrechen, der wie ein gläserner Blitz in das Dach des Bunkers einzuschlagen scheint und der künftig auch im Wortsinne als Öffnung, nämlich als Eingang dienen soll. Im Innern möchte Dreysse Arbeitsräume für unterschiedliche politische Initiativen einrichten sowie Archive unterbringen und vor allem einen großen Veranstaltungssaal für Lesungen, Filmvorführungen und Symposien schaffen. Was von der Synagoge noch erhalten ist, soll freigelegt und sichtbar gemacht werden.
»Eine große Geste«, wie sie der Lichtkeil darstelle, passe nicht zu diesem »sehr dominanten Gebäude«, warnten Lorch und Hirsch. Vielmehr schlugen sie vor, den Bunker, seine klaustrophobische, labyrinthische Enge auf sechs Etagen voller kleiner Kammern, verwinkelter Gänge, Lüftungskanälen und Sicherheitsschleusen, weitestgehend zu belassen. Die Synagoge darunter wirke »verloren, kaputt und vergessen«, so die beiden Architekten. Viel wichtiger sei es, »ein tragfähiges Langzeitkonzept für die Nutzung« zu finden. »Ansonsten frage ich mich, ob diese 3.000 Quadratmeter Fläche überhaupt sinnvoll zu bespielen sind«, gab Lorch zu bedenken. Ohne Programm gäbe es schließlich keine Architektur.
Auch programmatisch blieb an diesem Sonntag alles noch recht vage. Man solle das »widerständige Potenzial« regierungsferner Bürgerinitiativen an diesem Ort bündeln, sagten die einen. An diesem exponierten Ort vor allem deutlich zu machen, wer die Täter waren, wie die SA-Leute hießen und woher sie kamen, die am 9. November 1938 dieses einst als schönste Synagoge Deutschlands gepriesene Gotteshaus in Brand setzten – forderte Hannes Heer.
Micha Brumlik indes wies darauf hin, dass man sich nicht nur mit »Lernzielen und Lernwünschen«, sondern vor allem auch mit dem Adressaten jeder Gedenkpädagogik befassen müsse. Immer mehr Heranwachsende hätten heute einen nichtdeutschen Hintergrund und gehörten unterschiedlichen Kulturen und Religionen an. »Aber wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, übernehmen sie auch die moralische Verantwortung für die deutsche Geschichte«, sagte Brumlik.
Cilly Kugelmann meinte, dass sich durchaus »fruchtbare Vergleiche« zwischen einst und jetzt ziehen ließen. So handelte es sich bei der Israelitischen Religionsgesellschaft, in deren Auftrag die zerstörte Synagoge 1907 errichtet worden war, um eine Gemeinschaft neo-orthodoxer Juden um den Rabbiner Samson Raphael Hirsch. Sie versuchten, Gesetzes- und Traditionstreue mit modernem Leben zu verbinden. »Können junge Moslems in Deutschland darin keine Parallelen zu ihrer eigenen Wirklichkeit entdecken?«, fragte Kugelmann.
Denkmäler laufen Gefahr, zum Schluss-punkt, wenn nicht zum Grabstein lebendiger Debatten zu werden. Davon scheint der Bunker noch weit entfernt zu sein, denn so endgültig seine Betongestalt auch sein mag, so offen bleibt seine Zukunft auch weiterhin.