von Christine Schmitt
An Ideen mangelt es nicht. »Ein Internat für jüdische Schüler aus ganz Deutschland könnte in der Ahawa entstehen, die dann unsere Oberschule besuchen könnten«, sagt Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde. Der Realschulzweig der Oberschule könnte in das Gebäude der früheren Mädchenschule einziehen. Für ein Theater wäre auch noch Platz, ebenso für ein Künstlerhaus, sagt Joffe.
Seit mehr als zehn Jahren stehen das Ahawa-Gebäude, das dazugehörige Torbogenhaus (beide Auguststraße 14-16) und die frühere Mädchenschule (Auguststraße 11-13) leer und scheinen in Vergessenheit geraten zu sein, nur der gemeinsame Innenhof wird derzeit als Parkplatz von den Gemeindemitarbeitern genutzt. Doch nun soll etwas geschehen, zumindest mit dem Ahawa-Gebäude. Als Erstes, noch bevor die Diskussionen über die weitere Zukunft abgeschlossen sein werden, muss der Dachstuhl saniert werden. Das hatten die Repräsentanten auf ihrer jüngsten Versammlung beschlossen. Kostenpunkt: et-
wa 450.000 Euro.
Allerdings wäre es auch ohne Zustimmung der Repräsentanten zu dieser Sanierung gekommen. Denn das Bezirksamt Mitte hatte angekündigt, dass es selber eine Grundsicherung einleiten werde, um das Haus vor dem Verfall zu schützen, wenn die Gemeinde nicht endlich selber die dringend notwendigen Baumaß-
nahmen veranlassen werde. Das Bezirksamt hätte dann die Jüdische Gemeinde zur Kasse gebeten – »und das wäre noch teurer für uns geworden«, so Peter Sauerbaum, Dezernent für Bildung, Wissenschaft und Kultur der Jüdischen Gemeinde. Es sei peinlich, dass es überhaupt so weit gekommen sei. »Eine Schande«, meint auch Gideon Joffe. Die Ahawa sei das größte und ursprünglichste jüdische Gebäude. Der gesamte Komplex steht unter Denkmalschutz. Doch der Keller ist feucht, Schwamm hat sich ausgebreitet, das Dach ist in einem katastrophalen Zustand, die Decken marode.
Nach Angaben von Joffe befindet sich das Ahawa-Gebäude seit 1992 im Besitz der Gemeinde, die Jewish Claims Conference hatte es rückübertragen. Aber dadurch, dass das Gemeindehaus und der Sitz der Verwaltung bis zum vergangenen Sommer in Charlottenburg waren, sei das Haus kaum im Bewusstsein gewesen. Durch den Umzug der Verwaltung nach Mitte sehe es nun anders aus. Das 4.000 Quadratmeter große Areal gerate mehr in den Mittelpunkt des Interesses. »Zwangsläufig müssen und wollen wir uns kümmern. Die historische Stätte soll in neuem Glanz erstrahlen.«
Auf mindestens drei Millionen Euro werden allein die Sanierungskosten für das Ahawa-Gebäude geschätzt, sagt Joffe. Aber auch die frühere Mädchenschule und das Torbogenhaus müssten instand gesetzt werden. Die Mädchenschule wurde vom Gemeindebaumeister Alexander Beer 1927/28 entworfen, das Vordergebäude mit Tordurchfahrt sei noch viel älter als die Ahawa, vermutet Chana Schütz vom Centrum Judaicum. Ein »historisches Juwel«, nennt sie das Anwesen. Immerhin hatte der Architekt der Neuen Synagoge, Eduard Knoblauch, auch das Gebäude Auguststraße 14-16 entworfen – und zwar als Jüdisches Krankenhaus, das 1860 fertig gestellt worden war. Es zählte damals zu den modernsten Europas. Nach 50 Jahren wurde es allerdings zu klein und zog nach Wedding um, wo es sich noch heute befindet.
Das ehemalige Krankenhaus wurde zwischen den beiden Weltkriegen zu einem Zentrum jüdischer Wohlfahrtspflege, berichtet Historiker und Rabbiner Andreas Nachama. In den Räumen waren das Mädchenheim des jüdischen Frauenbundes, eine Tagesstätte für Säuglinge, ein Kindergarten des Wohlfahrtsamtes, die Chewra Kadischa für Groß-Berlin, die Kochschule der Gemeinde, eine Näh- und Arbeitsstube, eine Zahnklinik, der orthopädische Turnsaal der Jüdischen Kinderhilfe, der Kindergarten von Adass Jisroel, die Kleiderkammer der jüdischen Gemeinde und eben das jüdische Kinderheim »Ahawa« (hebräisch: Liebe).
Doch dann begann 1933 die Nazi-Herrschaft, und man missbrauchte das Haus ab den 40er-Jahren als Sammellager für Menschen, die von hier aus in die Konzentrationslager deportiert wurden. Nach 1945 zogen eine Blindenschule und ein Internat ein – und blieben dort bis 1990.
Das Ahawa-Gebäude wurde anschließend nur selten genutzt, beispielsweise für Ausstellungen. Einige Maler konnten die Räume noch bis zum vergangenen Sommer als Atelier nutzen, bis der Schwamm entdeckt wurde.
Auch Avitall Gerstetter, Kantorin der Jüdischen Gemeinde, hat sich Gedanken über den Gesamtkomplex gemacht. Ihr Vorschlag: ein Haus, in dem Studenten verschiedener Religionszugehörigkeit zusammenleben und arbeiten. Eine internationale Kunstfabrik mit den Schwerpunkten Musik, Bildende Kunst und Jour- nalistik könnte dort entstehen. In den nächsten Tagen will die Kantorin dem Gemeindevorstand und der Öffentlichkeit ein ausgefeiltes Konzept vorlegen. Wenn alles nach Plan laufe, könnten Sponsoren die Sanierung finanzieren, so Gerstetter.
»Das Konzept, das am meisten Freude und Nutzen bringt, soll den Zuschlag erhalten«, sagt Gideon Joffe. Und eine Entscheidung soll möglichst schnell gefällt werden. Er bezweifelt allerdings, dass dies noch in dieser Legislaturperiode geschehen werde, denn im November stehen Neuwahlen in der Jüdischen Gemeinde an. »Die Wiederbelebung dieses Areals wird unabhängig vom Wahlausgang in Zukunft höchste Priorität haben«, vermutet er.