von Wladimir Struminski
Ins Jerusalemer Präsidialamt zieht bald Israels nächstes Staatsoberhaupt ein. Der Neue übernimmt ein von seinen Vorgängern schwer angeschlagenes Amt. Der bisherige Präsident, Mosche Katsav, musste sich wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und andere schwere Sexual- und sonstige Delikte zwangsbeurlauben lassen. Er verließ die Residenz bereits vor einigen Mo-naten in Schimpf und Schande. Im Bewusstsein der Bürger überschattet der Skandal Katsavs bis zum Bekanntwerden der Affäre als korrekt eingestufte Amtsführung.
Der Schaden, den Katsav dem Ansehen seines Amtes zugefügt hat, ist immens. daran ändert auch die in rechtlicher Hinsicht bis zum Schuldspruch geltende Unschuldsvermutung nichts. Auch bei Ausfällen gegen die Medien und die Belastungszeuginnen, denen er eine gegen ihn gerichtete Verschwörung zur Last legte, machte der geifernde Katsav keine gute Figur. In der Öffentlichkeit löste er zum Schluss nicht nur Zorn, sondern auch Spott aus.
Allerdings hatte sich auch Katsavs Amtsvorgänger, Eser Weizman, um das einstmals hoch angesehene Amt nicht gerade verdient gemacht. Zum einen konnte »Eser«, bereits als Minister durch Eigenwilligkeit aufgefallen, die Finger nicht von der aktuellen Politik lassen. Durch wiederholte Einmischung in politisch umstrittene Fragen verstieß er gegen den Grundsatz der vom Staatspräsidenten, ähnlich wie in Deutschland, geforderten Überparteilichkeit. Den Höhepunkt erreichte die Eigenmächtigkeit des Präsidenten, als er den PLO-Chef Jassir Arafat an der Regierung vorbei zu einem Treffen in seinem Haus in Cäsarea einlud. Damit wollte Weizman den damals schon stockenden Friedensprozess voranbringen. Gelungen ist ihm das nicht, dafür hat er sein Amt auch in den Augen vieler friedensbereiter Bürger in Verruf gebracht. Zudem war Weizmans loses Mundwerk mit seiner herausgehobenen Stellung schlecht vereinbar. Die Verbalausfälle des Ex-Fliegergenerals waren Legion. »Ich mag Männer, die Männer sein wollen und Frauen, die Frauen sein wollen«, legte er sich mit den Homosexuellen an. »Süße, hast du schon einen Mann beim Sockenstricken gesehen?«, fragte er abschätzig eine junge Frau, die Kampfpilotin werden wollte. Im Gespräch mit einem Soldaten, der im Einsatz ein Auge verloren hatte, scherzte der Präsident: »Jetzt kannst Du beim Schießen besser zielen.« Das war aber nicht alles: 1999 wurde publik, dass Weizman als Minister und Knessetabgeordneter von einem Geschäftsmann hohe Geldbeträge erhalten, sie aber nicht deklariert hatte. Unter dem Druck der Öffentlichkeit musste er vor Abschluss seiner regulären Amtszeit zurücktreten.
Unwürdig fiel auch noch der Kampf um Katsavs Nachfolge aus. So »empfahl« die Knessetabgeordnete der Arbeitspartei Shelly Yacimovich dem Tel Aviver Oberrabbiner Israel Meir Lau, von einer von ihm erwogenen Kandidatur abzusehen. Widrigenfalls, so die Volksdeputierte, würden Tatsachen über Lau publik, an deren Bekanntwerden ihm nicht gelegen sein könne. In dunklen Andeutungen ließ Yacimovich durchblicken, es handele sich um Unregelmäßigkeiten sexueller Natur. Lau kandidierte – aus welchen Gründen auch immer – nicht.
Ihrerseits versuchte die Regierungspartei Kadima, die Geheimwahl des Präsidenten durch die Knesset durch eine öffentliche Abstimmung zu ersetzen. Damit sollte verhindert werden, dass Koalitionsabgeordnete den Kadima-Kandidaten Schimon Peres »verraten«. Rechtsexperten rügten den kruden und letztendlich gescheiterten Versuch, eine fundamentale Gesetzesänderung aus tagespolitischem Anlass durchzu boxen.
Vor diesem problematischen Hintergrund muss der neue Präsident besonders streng auf die präsidialen Spielregeln achten. Der vom Volksmund zynisch formulierte Wunsch: »Hauptsache, er vergewaltigt niemanden« reicht nicht aus. Für den Bürger Nummer eins, so der Politikwissenschaftler Gideon Rahat von der Hebräischen Universität in Jerusalem, wird parteipolitische Abstinenz entschei- dend wichtig sein.
Das bedeute nicht, dass er keine politische Wirkung entfalten darf. »Der Präsident«, so Experte Rahat, »kann sich eine Reihe von Anliegen aussuchen, für er sich einsetzt – von der Krebsbekämpfung bis zur Förderung sozialen Bürgerengagements. Parteipolitik aber niemals. Oder nur im Extremfall.« So etwa habe der damalige Präsident Jitzchak Nawon im Jahre 1982, nach dem unter Israels Nase verübten Massaker christlich-libanesischer Milizen an palästinensischen Flüchtlingen, ultimativ die Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission verlangt. Dennoch blieb Nawon als überparteilicher Präsident glaubwürdig, weil es sich um eine Ausnahme gehandelt hatte. Auch in Sachen persönlicher Finanzen muss sich der neue Präsident vor Fehlern hüten. Hier gilt: »Ehrlichkeit und Nachprüfbarkeit sind oberstes Gebot.« In dem tief gespaltenen Israel ist der Präsident, betont Rahat, einer der ganz wenigen Konsensträger. Deshalb ist eine Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens ins höchste Staatsamt nicht nur für den Erfolg des Inhabers, sondern auch für die politische Kultur des Landes wichtig.