medizin
Zuckersüße Viren
Vor 100 Jahren
geboren: Albert Sabin, Erfinder der Polio-Schluckimpfung
von Jonathan Scheiner
Wer einen Mensch rettet, der rettet die Welt, heißt es etwas pathetisch. Was müßte man demnach von Albert B. Sabin sagen? Sabin ist der Erfinder der Schluckimpfung gegen Kinderlähmung. Durch die Erfindung, so schätzt die WHO, sind 500.000 Menschen vor dem Tod gerettet worden, fünf Millionen Kinder vor der Lähmung. Sabin gilt als einer der wichtigsten Virologen überhaupt, auf einer Stufe mit Robert Koch, Louis Pasteur oder Jonas E. Salk, mit dem zusammen er den Polio-Erreger entdeckt hat. Sabin, der aus dem Erreger einen oralen Impfstoff entwickelt hat, stammt aus dem polnischen Byalistok. Er war eins von vier Kindern von Tillie und Jakob Sabin, die 1921 nach Paterson/New Jersey auswanderten. Am 26. August wäre Sabin 100 Jahre alt geworden.
Die Karriere dieses außergewöhnlichen Mannes beginnt 1926, als er noch Student an der New York University ist. Schon dort betreibt er biomedizinische Forschung, die er zwischen 1939 und 1969 an der University of Cincinnati fortsetzt. Zwischen 1943 und 1945 dient er beim medizinischen Corps der US-Army als Teil der Epidemiologischen Abteilung. Zu dieser Zeit ist ihm sein Ruf als Virologe schon weit vorausgeeilt, denn er hatte fundamentale Studien zur Poliomyelitis und anderen Viren betrieben, die Erkrankungen des Nervensystems hervorrufen.
Während seiner 30 Jahre in Cincinnati erforscht Sabin das Dengue-Fieber, das Sandfliegen-Fieber und die Japan B Encephalitis. Zudem dringt er in die bis dato unbekannten Gebiete natürlicher Abwehrmechanismen ein und erforscht den einheitlichen Dye-Test, der den häufigsten erblichen Enzymdefekt nachweist. Sabin er- hielt in seiner Karriere 46 Ehrendoktortitel.
Eine Schattenseite dieser Karriere ist, daß sie auf einer Vielzahl von Tierversuchen basiert, weshalb Sabin heute zur Projektionsfläche für militante Tierversuchsgegner geworden ist. Auch mit seinen eigenen, damals sechs und achtjährigen Töchtern scheint es sich Sabin gründlich verscherzt zu haben: Den Polio-Impfstoff hat er zuerst an ihnen erprobt. Auch sein Kompagnon Jonas E. Salk hatte in den 50er Jahren seinen aus »abgetöteten« Polioviren hergestellten Impfstoff nicht nur 9.000 Rhesusaffen, 150 Schimpansen und 133 Freiwilligen injiziert, sondern auch seinen drei Kindern. Seine beiden Töchter haben ihm, so hat der 1993 verstorbene Sabin am Lebensende verbittert eingestanden, bis heute nicht verziehen. Dabei nimmt sich Sabins Impfstoff auf einem Stück Zucker doch eher harmlos aus. »Schluckimpfung ist süß – Kinderlähmung ist bitter«, verhieß die Werbung. Geschadet hat die Impfung Sabins Töchtern ebenso wenig wie den meisten anderen Menschen. In den Industrieländern gilt Polio als ausgestorben. Die weltweite Ausrottung soll in den nächsten Jahren gelingen.