von Larry Luxner
Bis vor kurzem gab es in Paramaribo in Surinam zwei uralte Synagogen, die für ihre markante Architektur und sandbedeckten Fußböden berühmt waren. Aber die Zeiten sind so schlecht, daß sich die schrumpfende jüdische Gemeinde vor einigen Jahren gezwungen sah, die kleinere der zwei Synagogen, Tzedek We’Schalom, für 3.500 Dollar im Monat zu vermieten. Nachdem alle rituellen Gegenstände aus dem Gebäude entfernt und dem Diaspora-Museum in Israel übergeben worden waren, verwandelte eine lokale Computerfirma die sefardische Synagoge in ein Internetcafé.
»Wir vermieten das Gebäude, weil wir das Geld brauchen. Eine kleine Gemeinde wie unsere kann sich keine zwei Synagogen leisten,« sagt Jules Donk, Präsident der Synagogengemeinde Neve Schalom. »Wir konnten sie einfach nicht mehr finanzieren.« Seit ihren Anfängen vor 350 Jahren war die ehemalige holländische Kolonie am Nordrand des Amazonasgebiets Zufluchtsort für verfolgte Juden. Jetzt kämpft die jüdische Gemeinde, die sich in diesem facettenreichen Land immer noch wohlfühlt, aufgrund schwindender Geldmittel und Mitgliederzahlen ums Überleben. »Wir sind die älteste bestehende jüdische Gemeinde in Nord-, Mittel- und Südamerika, aber der übrigen jüdischen Welt sind wir gleichgültig«, sagt Lilly Duym, eine der Organisatorinnen von Neve Schalom. »Wir erhalten keine Hilfe, deswegen mußten wir die zweite Synagoge schließen.«
Seit 1975, als die Niederlande ihre Kolonie in die Unabhängigkeit entließen, ist das jährliche Bruttoinlandsprodukt rapide gesunken, und der größte Teil der Surinamer (mehrere Hunderttausend), die in der Folge der Unabhängigkeit nach Holland flohen, einschließlich der meisten Juden, kehrte nicht zurück. Noch immer leidet das Land an den Folgen des Bürgerkriegs, der in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren wütete. Wie in vielen anderen Ländern ist der Rauschgifthandel zu einem ernsthaften Problem geworden. Das gleiche gilt für die zunehmende Kriminalität, die von den Einheimischen gern den brasilianischen Wanderarbeitern, die als Goldgräber ihr Glück versuchen, angelastet wird.
Doch im Gegensatz zum fast ausschließlich katholischen Rest Südamerikas, leben in Surinam Angehörige verschiedenster religiöser und ethnischer Gruppen. Und erstaunlicherweise vertragen sich alle. »Keine Religion in Surinam hat irgendein Problem mit einer anderen«, sagt Guido Robles, ein bekannter jüdischer Geschäftsmann in Paramaribo. »Alle Probleme sind von den Politikern verursacht.«
Die Geschichte der Juden in Surinam geht bis in das 17. Jahrhundert zurück. Portugiesischsprechende Juden kamen erstmals um 1660 nach Surinam, vor den Holländern, um der Inquisition in Brasilien zu entkommen. Viele Juden wurden wohlhabend, einige waren Sklavenhalter. Die Ruinen der 1685 erbauten B’racha-We’Schalom-Synagoge locken noch immer Histo- riker und Archäologen nach Jodensavanna, einen Ort tief im spärlich bevölkerten wilden Teil Surinams südlich von Paramaribo.
Dank einer Einwanderungswelle aus Indien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sind heute etwa 27 Prozent der 480.000 Einwohner Surinams gläubige Hindus. Das macht den Hinduismus zur führenden Religion. Auch der Islam ist aufgrund der Kolonialgeschichte stark vertreten: Für die Arbeit auf den Reisfeldern und Zuckerplan- tagen wurden Menschen von der Insel Java geholt. Es gibt holländische Protestanten und chinesische Buddhisten, neben Kreolen und Maroons.
Etwa 200 Juden leben heute noch in Surinam. Sie sind hoch geachtete Mitglieder der Gemeinschaft. Antisemitismus gibt es hier nicht. Eine Reihe von Wörtern im lokalen Dialekt sind sogar hebräischer Herkunft, zum Beispiel »treef« – verbotenes Essen.
Nirgendwo ist die Vielfalt sichtbarer als entlang der Keizerstraat in Paramaribo, wo die Neve-Schalom-Gemeinde und die Suriname Islamic Society, die im Haus daneben untergebracht ist, friedlich zusammenleben. Die javanesische Moschee ist die größte von einhundert in ganz Surinam, während Neve Schalom, 1719 gebaut und nach einem Feuer 1835 wieder errichtet, die letzte funktionierende Synagoge im Land ist. »Wir haben Respekt vor der Kultur des jeweils anderen«, sagt Robles, der auch den Vorsitz der Jodensavanna Foundation innehat. »Wenn man damit groß geworden ist, stellt man keine Fragen. Einer meiner Freunde ist Hindu, ein anderer Javaner, und einer ist Kreole. Man achtet die Unterschiede und weiß sie zu schätzen. Zu wichtigen Feiertagen wie Pessach laden wir Muslime ein und umgekehrt.«
Pessach lockt mehr Juden in die Synagoge als jeder andere Feiertag. Hunderte Menschen kommen zum Seder der Neve-Schalom-Gemeinde. Duym, deren Vater als Sol- dat aus Holland kam, sagt, der letzte reiche Jude sei vor einem Jahr gestorben. Fast alle verbliebenen Juden seien arm. »Alle anderen bessergestellten Juden haben das Land verlassen. Wir können uns keinen Rabbiner leisten«, sagt sie. In einem Freitagabend gottesdienst saßen vor kurzem 28 Menschen auf den Holzbänken der Synagoge. Am Schabbatmorgen erschienen vier Männer zum Beten.
Um sich angesichts sinkender Mitgliederzahlen infolge von Überalterung und Konversionen eine Zukunft zu sichern, ist aus der orthodoxen Gemeinde über die Jahre eine liberale Gemeinde geworden, die Mischehen und Nichtjuden akzeptiert. Es half aber alles nichts. Heute hat die Gemeinde nur noch 125 Mitglieder. Die Zukunft des Judentums in Surinam sieht Donk skeptisch. Noch aber will der Gemeindevorsitzende das Handtuch nicht werfen. »In Surinam hat es für Juden nie Probleme gegeben. Seit dem 18. Jahrhundert sind wir hier willkommen.« Auf Tzedek We’Schalom angesprochen, beteuert Donk: »Wir werden das Gebäude nie verkaufen. Vielleicht wird eines Tages wieder eine Synagoge daraus. Man weiß ja nie.«