von Ulf Meyer
Gibt es so etwas wie eine jüdische Kunst? Über diese Frage gehen die Meinungen heute noch ebenso auseinander wie vor hundert Jahren. Der deutsch-jüdische Maler, Radierer, Lithograf und frühe Zionist Hermann Struck hätte sie klar bejaht. Er war ein vehementer Vertreter einer spezifisch jüdischen und frühen zionistischen Kunst. Dem Lebenswerk von Struck, der bis 1922 in Berlin und danach bis zu seinem Tod 1944 in Haifa lebte und der als »künstlerische Seele Israels« gilt, widmet das Centrum Judaicum in Berlin jetzt eine Ausstellung.
Hermann Struck wurde 1876 als Chaim Aaron ben David in Berlin geboren und studierte an der Berliner Akademie Malerei unter Max Koner (1854-1900) und Grafik unter Hans Meyer (1846-1919), einem der anerkanntesten Radierer seiner Zeit. In den Folgejahren führten ihn Studienfahrten nach Holland (1898/99), Dänemark (1902), Palästina (1903), in die Schweiz, nach Schweden, England und in die Vereinigten Staaten von Amerika (1912/13). 1908 veröffentlichte Struck sein Buch Die Kunst des Radierens, bis heute ein anerkanntes Standardwerk der Radiertechnik, das allein bis 1923 fünfmal aufgelegt wurde. Die einzelnen Auflagen enthielten Original-Radierungen von Struck und bekannten Künstlern seiner Zeit wie Max Liebermann, Edvard Munch und Max Slevogt.
Hermann Struck war als Pädagoge mindestens ebenso einflussreich wie als Künstler: Kollegen wie Lovis Corinth, Lesser Ury oder Marc Chagall ließen sich von ihm in der Technik der grafischen Künste unterweisen. Als überzeugter Zionist war Struck auch politisch aktiv und engagierte sich für die verfolgten Juden in Osteuropa und Russland. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldete er sich freiwillig und diente als Unteroffizier im deutschen Heer. Von seinen Stationen als Soldat schickte er Zeichnungen zur Veröffentlichung an Zeitschriften in seiner deutschen Heimat. Aus einer Begegnung mit Arnold Zweig in Litauen (1915) entstand das Buch Das ostjüdische Antlitz. Für Struck verkörperten die Juden Osteuropa am besten den »Geist der Diaspora«, ohne den seine Vision von Israels Zukunft undenkbar war.
Neben Landschaftsbildern, Milieustudien aus dem jüdischen Leben und Charakterstudien russischer und galizischer Juden war Struck für seine Porträts prominenter Persönlichkeiten seiner Zeit bekannt. Befreundete Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler wie Arnold Zweig, Lovis Corinth, Albert Einstein, Sigmund Freud und Theodor Herzl hat Struck künstlerisch ebenso porträtiert wie Hendrik Ibsen, Friedrich Nietzsche und Oscar Wilde.
Hermann Struck war aber nicht nur ein bedeutender Künstler seiner Zeit, sondern auch orthodoxer Jude und Mitbegründer der religiös-zionistischen Misrachi-Bewegung. 1903 besuchte er erstmals Palästina, wo er auf dem Fünften Zionisten-Kongress vier seiner Bilder ausstellte: Landschaftsbilder, die Eretz Israel oder kleine Städte in Europa zeigen. 1923 wanderte Struck nach Haifa aus und unterstützte den Aufbau künstlerischer Institutionen in Palästina. Zu seinen Projekten dort zählten unter anderem eine Künstlerkolonie in Haifa, das Kunstmuseum Tel Aviv und die Bezalel Akademie für Kunst und Design in Jerusalem, die bis heute das kunstpädagogische Herz Israels ist.
Hermann Struck, Berliner Künstler und früher Zionist. Centrum Judaicum Berlin,
31. Mai bis 19. August.
www.cjudaicum.de