Tötung von Zivilisten, Folterung und Misshandlung von Verdächtigen, Verweigerung ärztlicher Behandlung kranker Kinder: Die Liste der Menschenrechtsverletzungen, die Amnesty International im aktuellen Jahresbericht Israel zur Last legt, ist lang. Sehr lang. Im Zusammenhang mit dem Gasakrieg, einer »Militäroffensive beispiellosen Ausmaßes«, wird Israel in dem 543 Seiten umfassenden Report zudem zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt: Israelische Streitkräfte hätten die im Juni 2008 vereinbarte Waffenruhe am 4. November gebrochen. Von den zuvor – auch während der vermeintlichen Waffenruhe – auf Sderot und andere Orte im Süden Israels abgefeuerten Raketen kein Wort. Zumindest nicht an dieser Stelle. Die Schmugglertunnel, durch die sich die Hamas mit Sprengstoff und Munition versorgte, werden auch erst in anderem Zusammenhang erwähnt: dass sich Palästinenser dadurch »Lebensmittel, Brennstoff und andere Versorgungsgüter« beschafften. Das sei eine Folge der israelischen Blockade. Die wiederum sei »eine Art Kollektivstrafe« dafür, dass der Soldat Gilad Schalit weiterhin festgehalten werde.
Der Bericht stößt in Israel auf heftige Kritik. Voreingenommen und sachlich falsch – so bezeichnete die Jerusalemer Regierung bereits den Sonderbericht, den Amnesty im Februar zum Gasakrieg vorgelegt hatte. Den aktuellen Jahresbericht nahm »NGO monitor« unter die Lupe. Die israelische Organisation beobachtet verschiedene Menschenrechtsorganisationen im Nahen Osten. Ihr Vorsitzender Gerald M. Steinberg kritisiert, der Report sei »ziemlich einseitig« und das Ergebnis einer »ideologischen Kampagne«.
Ruth Jüttner, Nahostexpertin der deutschen Amnesty-Sektion, weist das zurück: »Wir stellen uns nicht auf die Seite einer am Konflikt beteiligten Partei.« Gerade in bewaffneten Auseinandersetzungen rechtfertigten die Konfliktparteien häufig ihr Verhalten mit den Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht durch die andere Partei. »Doch das Völkerrecht erlaubt es nicht, sich herauszureden, indem man auf die Übergriffe und Rechtsverstöße des anderen hinweist.«
Steinberg, der als Politologe an der Bar-Ilan-Universität arbeitet, bleibt dabei: Amnesty sei eine »politische Organisation«mit einer geradezu »antiisraelischen Obsession«. Detlef David Kauschke
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