Zielscheibe Israel
Wie Jerusalem auf den Raketenbeschuß militärisch reagiert
Acht Tage sind seit dem Ausbruch des Krieges zwischen der Hisbollah und Israel vergangen. Neben Toten, Verletzten und Zerstörung hat der Verlauf der Kampfhand-
lungen eine nicht überraschende, in Israel bisher aber gern verdrängte Erkenntnis gebracht: Im Raketenkrieg hat die israelische Militärdoktrin, die Kampfhandlungen ausschließlich auf dem Gebiet des Gegners auszutragen, ihre Gültigkeit verloren. In den ersten sieben Tagen des Beschusses wurden zwölf israelische Zivilisten durch Raketentreffer getötet, mehrere Hundert verwundet. Nur dem Glück ist es zu danken, daß es nicht mehr Menschen waren. Der Norden des Landes ist zur Zielscheibe feindlicher Luftangriffe geworden. Bis Dienstag schlugen 800 Raketen ein. Das ist aus militärischer Sicht katastrophal.
Aufgrund der Landesgröße stellen Raketen mit relativ geringer Reichweite eine strategische Bedrohung dar, erst recht, wenn ein künftiger Gegner sie mit nichtkonventionellen Gefechtsköpfen bestückt. Deshalb muß Israel nach Beendigung des Waffengangs alles daransetzen, effektive technologische Lösungen gegen die Raketenbedrohung zu finden, fordern Militärstrategen. Vorerst aber muß die Gefahr mit herkömmlichen Waffen bekämpft werden. Das versucht die israelische Luftwaffe mit dem Beschuß von Waffendepots und Abschußrampen der Hisbollah. Auch Kommandozentren der Schiitenmiliz werden aus der Luft angegriffen. Die Bombardierung der libanesischen See- und Flughäfen sowie der Landverbindungen nach Syrien soll den Nachschub neuen Kriegsmaterials verhindern. Im grenznahen Gebiet setzt Israel auch Artillerie gegen Hisbollah-Stellungen ein.
Dennoch wissen auch israelische Sicherheitsexperten, daß militärische Gewalt allein das wichtigste Kriegsziel – eine Entwaffnung der Hisbollah oder wenigstens ihre Vertreibung von der libanesisch-israelischen Grenze – kaum erreichen kann. Die schiitische Organisation verfügt nach Angaben aus Militärkreisen allein über 13.000 Raketen. Eine kaum zu bewältigende Herkulesaufgabe für die israelische Luftwaffe. So will Israel versuchen, die Militärkraft von Hisbollah wenigstens so weit zu schwächen, daß sie den von der UNO wie von Israel geforderten Einzug der libanesischen Armee in den Landessüden akzeptiert und sich selbst mit einer stark reduzierten Rolle abfinden muß.
Beides gehört nach einer Erklärung von Ministerpräsident Ehud Olmert für Israel zu den Grundbedingungen für einen Waffenstillstand. Eine Waffenruhe ohne diese Voraussetzungen lehnt Israel ab. Israels Militärs befürchtet aufgrund langjähriger Erfahrungen, daß im anderen Falle Hisbollah die Verschnaufpause zum Auffüllen ihrer Waffenarsenale und der Wiederherstellung der Kommandostruktur nutzen könnte. Damit würden auch die bisherigen israelischen Teilerfolge zunichte gemacht, argumentieren die Strategen. Die Armeespitze setzt auf Zeit. Mindestens eine Woche benötige sie noch, um die Infrastruktur der Hisbollah nachhaltig zu schwä- chen. Der stellvertretende Generalstabschef, Mosche Kaplinsky, hat dafür auch den Einsatz von Bodentruppen nicht ausgeschlossen. Wolf Silberbach